Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Eine Art von Nacht - Jeanette Kaz<br />
ihr entgegen, genauso verschmutzt und verschwitzt. „Halt den Mund, kleine Schwester.“ warf sie ihr<br />
im Vorbeigehen zu. Großäugig sah Airan ihr nach. Rain sagte überhaupt selten etwas, schon garnicht<br />
in so einfachen Worten. Etwas krabbelte über ihre Hand, und sie schauderte. Schnell ging sie weiter,<br />
hoffte, daß das Etwas nicht in ihren Ärmel kriechen würde und warf den Schmutz auf den schnell<br />
wachsenden Haufen vor dem Haus. Wenigstens würden sie nicht allzu weit laufen müssen, um diesen<br />
uralten Überbleibsel ihrer Vorgänger zu entsorgen. Die tiefe Spalte, die <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> teilte, begann in<br />
Sichtweite.<br />
Abends rückten die kleinen Schwestern eng zusammen um den kleinen, schlecht ziehenden und halb<br />
verfallenen Kamin. Rain verteilte, gelassen wie immer, die letzten Reste ihres Reiseproviants, denn<br />
eine Kochmöglichkeit hatten sie in diesem Haus noch nicht. Sie aßen schweigend. Schließlich, als<br />
auch der letzte Rest Fladenbrot verschwunden war, lehnte Viril sich zurück. „Morgen in aller Frühe<br />
werden die Handwerker kommen. Richtet Euch darauf ein.“ Gleichmütig begann sie, ihre Decken<br />
aufzurollen.<br />
Eine Weile herrschte Schweigen, dann explodierte Airan. „Das ist doch kein Haus, das ist eine Ruine!<br />
Es wird Monate dauern, bevor es auch nur halbwegs bewohnbar ist! Selbst falls - und ich sage falls,<br />
nicht wenn! - die Handwerker wirklich morgen früh mit der Arbeit beginnen. Außerdem ist es … es<br />
ist … es ist ….“<br />
„Nicht das Gildenhaus in Hale, meinst Du? Keine luftigen Flure und Dienstmädchen, die Dir die<br />
Dreckarbeit abnehmen, damit Du Dir nur ja nicht die kostbaren Pfoten schmutzig machst?“ Viril hob<br />
nicht einmal die Stimme, ließ der Chirurgin aber auch keine Zeit, ein passende Antwort zu finden.<br />
„Hör' mir jetzt gut zu, denn ich werde das nicht wiederholen. Seit wir diese Stadt das erste Mal<br />
gesehen haben, war von Dir nichts Anderes zu hören als Gemaule über dies und über jenes. Wir alle<br />
wissen, daß Du nicht freiwillig hier bist, aber Dir wurde die freie Wahl gelassen: uns zu folgen oder<br />
den Orden zu verlassen. Ich erwarte morgen früh, daß Du entweder Deine Sachen packst, den Habit<br />
ablegst und uns verläßt, oder aber, daß Du Dich morgen damit beschäftigst den Raum links von der<br />
Tür, den mit den vielen Fenstern, zu Deinem Arbeitsraum zu machen. Weiterhin wirst Du Dich dann -<br />
und zwar noch vor Mittag, denn bis dahin sollte Dein Zimmer vorerst eingerichtet sein - in die Stadt<br />
begeben und Dich nach Arbeit umsehen. Noch Fragen?“<br />
„Aber, Mutter Oberin, ich …“ Aus der Dunkelheit schnalzte die Gerte auf sie zu. „Wenn und falls Du<br />
Dich entscheidest, hier zu bleiben, kleine Schwester, dann erinnere Dich auch an die Disziplin in<br />
diesem Haus.“ Airan betastete vorsichtig den bereits anschwellenden Striemen auf ihrem Unterarm.<br />
„Ja, Mutter Oberin.“ Und mehr wurde nicht gesprochen an diesem Abend.<br />
���<br />
Rain zupfte ungemütlich an ihrer steifen Leinenhaube, während sie zusah, wie ein Schreiner aus der<br />
Oberstadt Reihen um Reihen von verschiedenen Regalen in das Dachgeschoß des Hauses einpaßte.<br />
Regale für Bücher, Regale für Schriftrollen, Regale für verschiedene Schreibtafeln. Ein bißchen<br />
wehmütig ließ sie die Finger über das Papier streichen, das auf ihrem Tisch gestapelt war. Es war<br />
nicht einmal ein Bruchteil dessen, was ihnen in Hale zur Verfügung gestanden hätte, und es würde<br />
auch nur einen kleinen Teil der Regale füllen. Aber, rief sie sich energisch zur Ordnung, es würde der<br />
Tag kommen, da der Platz hier unter dem - mittlerweile wieder dichten - Dach nicht mehr ausreichen<br />
würde, um die Archive der kleinen Schwestern in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> zu halten. Und sie würde alles tun,<br />
damit dieser Tag in nicht allzu ferner Zukunft lag.<br />
Der Schreiner lehnte ihr Angebot eines kühlen Apfelmosts ab und so kletterte sie vorsichtig die<br />
schmale Holzstiege hinunter, die in den zweiten Stock führte. Das ganze Haus roch nach frischer<br />
Farbe. Rain grinste. Die Reperaturarbeiten waren größtenteils Maskerade, das Haus war und blieb<br />
baufällig - aber man sah es jetzt nicht mehr so deutlich. Rasch warf sie nochmal einen Blick in eine<br />
der zehn winzigen Kammern, die die Mutter Oberin im zweiten Stock hatte einrichten lassen. Sicher,<br />
die Einrichtung war spartanisch: ein schmales Bett, unter dem man die Waschschüssel verstaut hatte,<br />
ein kleines Tischchen und ein Holzstuhl, ein schmaler, schmuckloser Schrank. Rain lächelte ein<br />
bißchen. Aber es würde Platz genug sein, damit die Kinder sich nachts die gepolsterten Notbetten<br />
ausrollen und bei ihren Müttern schlafen konnten. Die Kinder …, die vermißte sie vor allem seit Hale.<br />
Das Haus war still, viel zu still! Und Kinder, die die Hilfe der kleinen Schwestern gebrauchen<br />
konnten, hatte sie hier in der Unterstadt schon zur Genüge gesehen - der Haken war nur, daß die<br />
wahrscheinlich keine Mütter hatten, bei denen sie schlafen könnten. Aber zweifellos hatte die Mutter