Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Spiel - Thomas Peter Goergen<br />
Narbe im Bewußtsein des Opfers zurück; noch wenn der Leib erkaltet ist, brennt der Gedanke<br />
unauslöschlich weiter: Haß - Schmerz - namenlose Rache - Vergeltung und - Verhängnis!“ Er<br />
schwieg.<br />
Die neue Kerze war fast wieder niedergebrannt.<br />
Doch vom Tisch ging jetzt aus ein auf- und abpulsendes, bläuliches Licht, wie ein lohendes, schlagendes<br />
Herz: die schwarzen Augen glitzerten saphirisch, Mondsteinen gleich in dem kalten Licht; und<br />
der Hai war in der Lagune, sein dunkler Leib, zielstrebig und still.<br />
Steinerne Gestalten auf dem steinernen Brett.<br />
Dann griff er nach einer und bewegte sie vor.<br />
„Was ist mit Euch?“ Torador erhob sich halb in seinem Sessel, als er sah, wie der andere plötzlich<br />
zusammensacke, als preßte ihm etwas die Luft aus den Lungen.<br />
Der Totengräber lag schweratmend auf der Bank, der Löffel klimperte zu Boden, und so heftig krallte<br />
er sich in den weißen Damast des Tischbezugs, daß Torador nur mit viel Geschick den<br />
„Winternachtstraum“ vor dem Umstürzen bewahren konnte.<br />
Der Totengräber kam langsam wieder hoch. Sein ohnehin bleiches Gesicht war jetzt aschfahl, die<br />
Lippen waren über die blitzenden Zähne zurückgezogen und in seinen weiten Augen bildeten sich<br />
rötliche Risse, als seien Äderchen in großer Zahl aufgrund einer großen Anstrengung geborsten -<br />
„Großer <strong>Mantow</strong>in, Ihr braucht Hilfe“, flüsterte Torador erschrocken...<br />
„Nein“, kam es da gepreßt. „Werft Euch nach links...“<br />
„Was?“ Torador traute seinen Ohren nicht.<br />
„Werft Euch - nach links!“<br />
Torador war einen ganz kurzen Augenblick wie erstarrt, dann zögerte er nicht mehr und ließ sich<br />
linker Hand aus seinem Sessel gleiten - während neben ihm eine aufwehende Feuerwolke, inmitten<br />
entsetzlichen Gescheppers und Geklirrs, auf den Tisch niederprasselt!<br />
Torador lag auf dem Boden, den Kopf in die Arme vergraben, und erwachte wie aus einer Betäubung<br />
- um sich herum Stimmengewirr, spitze Schreie und ein Gemurmel, aus dem helle, laute Rufe<br />
unregelmäßig aufblitzten; er fühlte wie jemand nach seiner Schulter griff: „Seid Ihr unversehrt?“<br />
fragte ihn ein älterer, weißbärtiger Mann, er dankte der Nachfrage und ließ sich vorsichtig hochhelfen:<br />
der Tisch war ein schwarzbrauner Brandherd, ein Lakai schwang gerade eine Wasserkaraffe darüber.<br />
Daneben kauerte ein anderer Lakai und der zweite Saalherr wie ein lüsterner Gott der Strafe kreischte<br />
über ihm: „Du Tölpel! Du nichtswürdiger, unfähiger Bauer! Du - du - Bauerntölpel...!!“ bis seine<br />
Stimme sich überschlug.<br />
Der ältere Herr klopfte freundlich an Toradors Gewand herum: „Eine ganz neue Art, flambierte<br />
Palatschinken zu verkosten“, meinte er launig. „Seid Ihr sicher, daß Ihr...<br />
„Danke, mir fehlt nichts, Herr...“<br />
Der Herr nannte seinen Namen, und Torador erkannte ihn als den Angehörigen einer der angesehensten<br />
Offiziersfamilien <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s.<br />
Mittlerweile war der erste Saalherr hinzugetreten, und erledigte die Angelegenheit mit der augenspielenden<br />
Überlegenheit, wie sie nur ein erster Saalherr, Säule und Ausdruck der Würde des Hauses,<br />
einzusetzen verstand: ein Seitenblick, Rüge für die unstandesgemäße Entgleisung des zweiten<br />
Saalherrn und vernichtender Tadel für den so unglücklich gestrauchelten Lakaien zugleich, der beide<br />
auch sogleich entweichen ließ; dann wandte er sich Torador zu, um in wohlgesetzten Worten tiefes<br />
Bedauern zum Ausdruck zu bringen.<br />
Der Angesprochene beachtete ihn kaum, seine Augen suchten nach dem Mann, dessen absonderliche<br />
Warnung ihn vor dem Unglück bewahrt hatte; in der Tat entdeckte ihn bald am anderen Ende des<br />
Saals, sein Anruf erreichte den Totengräber aber nicht mehr, da jener, den Mantel um sich schlagend,<br />
in diesem Augenblick eilig den „Schillernden Vogel“ verließ...<br />
Wirres Geschrei schreckte Torador auf; ein leichter Schädelschmerz kündigte sich bereits in seinen so<br />
jäh überforderten Nerven an. Indes, die lauten Rufe, das Aufheulen einiger Frauen, drangen aus dem<br />
alten Saal, dem Festsaal seiner Mutter, aus dem auch schon die ersten prächtig gekleideten Herren<br />
stürzten, lautstark und sichtlich verzweifelt nach einem Heiler verlangten - Torador hastete herbei, der<br />
große Saal glich einem aufgescheuchten Vogelnest und alles drängte nach dem Kopfende der Tafel:<br />
„Mutter!“