Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Keriams Schatten - Kai-Florian Richter<br />
einschlafen. Er streckte sich, seine Hand berührte etwas kaltes, metallenes. Keriam drehte seinen<br />
Kopf, um zu sehen, was da auf seinem Kissen lag und schrie, schrie so laut und so furchtbar, wie er in<br />
seinem ganzen Leben zuvor nie geschrien hatte.<br />
-3-<br />
„Danke, daß Ihr gekommen seid, ich habe mich sehr gefreut, und ich glaube, Chatsar freut sich auch.“<br />
Jaga stand gemeinsam mit Feran und Daria um den einfachen Holztisch, der als Arbeitsfläche und<br />
Eßtisch genutzt wurde, im ersten Stock des Hauses von Chatsars Eltern, die ihn Chatsar und seiner<br />
Frau zur Verfügung gestellt hatten, nachdem sie bei Keriam ausgezogen waren. Alle drei hielten<br />
Becher mit Tee in der Hand und schauten auf Chatsar, der im Nebenraum in der Türöffnung auf dem<br />
Boden saß und selbstvergessen mit Freya, seiner zehn Monate alten Tochter, spielte. Dabei lächelte<br />
er, sowohl mit dem Mund als auch mit den Augen, was in den letzten Monaten nur selten der Fall<br />
gewesen war.<br />
Feran und Daria besuchten die Hlacs recht häufig, vor allem weil Feran versuchte, seinen Freund<br />
Chatsar von seinen trüben Gedanken zu befreien, und wenn ihm das schon nicht gelänge, so ihn doch<br />
zumindest abzulenken. Aber auch Jaga und Daria verstanden sich ausgezeichnet und konnten<br />
stundenlang miteinander reden. Natürlich kannten Feran und Daria mittlerweile auch den Grund für<br />
Chatsars Stimmung.<br />
Es klopfte an der Tür zur Treppe ins Erdgeschoß, die von Chatsar und seinem Vater nachträglich<br />
eingebaut worden war, um aus dem ersten Stock so etwas wie eine richtige Wohnung zu machen.<br />
„Herein!“ rief Jaga und drehte sich zur Tür.<br />
Yrtse, Chatsars Mutter, eine mittelgroße Frau Mitte vierzig mit rötlichem, freundlichem Gesicht,<br />
betrat den Raum, in ihren Händen einen großen Kuchen.<br />
„Ich dachte mir, Ihr möchtet vielleicht ein wenig Kuchen?“<br />
Auf dem Tisch standen die Reste eines Kuchen, den Jaga am Vormittag gebacken, und den sie im<br />
Laufe des Nachmittags gegessen hatten.<br />
„Du sollst doch nicht für uns kochen, die Arbeit brauchst Du Dir nicht zu machen.“ tadelte Jaga Yrtse<br />
freundlich.<br />
Jaga wußte genau, warum Yrtse dies tat, sie suchte nach einem Grund, zu sehen, wie es ihrem Sohn<br />
ging. Ihre Augen suchten bereits das Zimmer nach ihm ab, und als sie ihn fröhlich mit Freya spielen<br />
sah, stellte sie lächelnd den Kuchen auf den Tisch und ging, den Blick nicht von Chatsar wendend,<br />
wieder zur Tür und verabschiedete sich, nicht ohne noch einmal genau zu schauen, was Chatsar<br />
machte.<br />
���<br />
Der weiße Mond stand hoch und strahlend am dunklen Nachthimmel, der goldene befand sich zur Zeit<br />
auf seiner Rückseite. Die Straße, die reliefgeschmückte Mauer und auch das schmiedeeiserne,<br />
verzierte Tor waren vom Mondlicht hell erleuchtet, als er das Tor aufschloß und es mit leisem<br />
Knarren öffnete. Er ging vorbei an den Cariannußsträuchern aufs Haus zu, unter seinen Füßen<br />
knirschte der Kies. Der Garten und das Haus hatten sich seit seinem letzten Besuch nicht verändert, so<br />
daß er ohne Mühen den Aufgang zur Dienstbotenwohnung fand.<br />
Doch er ging an der Tür vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen und bog auf den Weg ab, der zur<br />
Rückseite des Hauses führte. Vor Keriams Fenster verließ er den Weg und trat auf das jetzt im Winter<br />
kahle Beet. Aus einer seiner Taschen holte er einen Hammer, schlug damit Scheibe und Fensterläden<br />
ein, steckte den Hammer wieder weg und kletterte durchs Fenster ins Zimmer. Keriam lag friedlich<br />
schlafend mit einem grausamen Grinsen auf den Lippen in seinem Bett und schlief. Er trat auf ihn zu,<br />
zog einen Dolch, holte aus, stach zu und...<br />
...und erwachte. Schweißgebadet und zitternd richtete sich Chatsar im Bett auf. Er hatte schon wieder<br />
einen Alptraum, schon wieder ein Traum über Keriam, er wußte schon gar nicht mehr, wie viele er<br />
seit dem Mord an Gsaxio im letzten Jahr schon gehabt hatte. Er stöhnte. Neben ihm raschelte es und<br />
er spürte, wie sich Jaga zu ihm hindrehte.<br />
„Was ist los, mein Schatz?“ Sie richtete sich ebenfalls auf.<br />
„Ach, nichts, ich habe nur zum ungefähr hundertsten Male Keriam umgebracht, zur Abwechslung<br />
habe ich ihn im Bett erdolcht.“