Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />
sich sofort verlor, und der gewaltsame schwarz-weiße Strudel hallte ihm wieder von den seltsamen<br />
Worten: „Ihr! Ihr dauert mich, Ihr und Euer großer Haß! Daß die kurze Spanne Eures Lebens noch<br />
unter so unglücklichen Vorzeichen steht...!“<br />
Wie fremdartig es doch war, da Tin wie aus einer Betäubung erwachte und der Rote verschwunden<br />
war. Er zuckte umher, dann sah er ihn, einige Sprung weit hinter sich, ruhig die Straße<br />
herunterwandern. Mit einer erstaunlichen Gewandtheit riß Tin seinen Fuchs herum, daß Baran einen<br />
Satz zur Seite machen mußte, um nicht von dem erschrocken wiehernden Pferdeleib zu Boden<br />
geworfen zu werden.<br />
„Haa!“ brüllte Tin und zielte am den scharlachfarbenen Rücken - niemals vergesse ich und niemals!<br />
verzeihe ich - und drückte den Abzug: mit einem Klirren, dem scheppernden Singen sich lösender<br />
Schrauben, landete der Bolzen keinen Sprung weit in der Gosse, während der Junge entgeistert die<br />
auseinanderfallenden Teile seiner Armbrust durch die Finger gleiten ließ... Unmittelbar darauf war<br />
der Sammler aus dem Blickfeld verschwunden.<br />
Und das war das Schlimmste, als Baran seinen verstummten Herrn zurück in die Oberstadt führte, daß<br />
Tin von Erzfeld sich gedemütigt fühlte, gedemütigt und auf so traurige Weise zutiefst beschämt.<br />
Ein dichter, warmer Nebel lag, von grünlichem Leuchten durchzogen, im Tal des Beckens aus Kupfer<br />
und Stein. Er floß aus kreisrunden Höhlen in den Wänden der Halle hinab, füllte das Bassin, umwogte<br />
ein wuchtiges, achteckiges Plateau in der Hallenmitte wie Wolken den Gipfel eines Bergs. Dabei<br />
verdeckte er große Stufen, die von den Wänden in die Tiefe und aus der Tiefe zu jener Erhebung<br />
führten - allerdings schimmerten ja die grünen Lichter wegweisend an den Kanten der Trassen empor.<br />
Übrigens war es recht angenehm, auf diesen Stufen sich in den Dunst niederzulegen, denn er<br />
beeinträchtigte das Atmen keineswegs, war zudem wohlriechend und pflegte Haut und Gesundheit<br />
wie Milch.<br />
War man aber ins Becken hinab-, aus dem Becken dann wieder zu der Form aufgestiegen, war zu<br />
entdecken, daß in diese steinerne Erhebung eine runde Mulde gegraben war, eben wie in dem<br />
Sprichwort von dem steten Tropfen, und die Mulde war mit klarem Wasser gefüllt.<br />
Darin nun lag unbekleidet, haarlos bis auf die Brauen, der atamanische Sammler, die gefährlichen<br />
Augen geschlossen, und lauschte den Klängen des Sonophisbaëum, an dem der Botschafter ein<br />
kasralitisches Bühnenwerk vortrug, indem er, da als Taubstummer zum gewöhnlichen Vortrag<br />
außerstande, die Worte in Noten und Töne umsetzte: so verwandelte er die einfache Sprache in die<br />
besondere der Musik. Und Lanungo erfreute sich an der geistvollen Dichtung des Tulamur von Kasra,<br />
dessen derbe Wortspiele ihn immer wieder, so auch heute, erheiterten und unterhielten.<br />
Zwar glaubte er bisweilen, daß aller dichterische Einfallsreichtum nicht solche semala garka hervorbringen<br />
könnte wie...: „Ein Krüppel macht mit hallakinischem Büttel Jagd auf einen Anq'ushaq - oder<br />
Nuu-Giik, wie dieses Völkchen selbst sich nennt - diese Stadt ist wirklich ein Schmelztiegel...“ dachte<br />
er; indes wischte er den Gedanken an das Geschehnis leicht hinweg und lauschte wieder den Worten<br />
der Musik.<br />
Bald schon, nach dem zweiten Aufzug des Tulamur-Stücks, verlangte ihn mehr etwas wissenschaftliches,<br />
ernsthafteres, denn auch wenn er sich in die Baderäume der Botschaft zurückgezogen hatte, um<br />
sich zu entspannen, gab es doch ernste Dinge zu bedenken. Er hieß den Botschafter ein Traktat des<br />
Niklion ad Pars vorzutragen, Über die kleinsten Teile, und der alte Mann kam diesem Befehl<br />
unverzüglich nach.<br />
Lanungo löste sich von seinem Platz, ein wenig umherzuschwimmen; schließlich lagerte er wieder am<br />
flachen Rand der Mulde, kostete die eine oder andere Frucht, die in kristallenen Schalen bereitlag,<br />
summte noch das erste Kapitel der ad Pars´schen Abhandlung mit, um dann nach einigen Papieren zu<br />
greifen und sich darin zu vertiefen.<br />
Die Papiere enthielten Um- und Grundrisse von Räumen und Gebäudeblöcken, gekennzeichnet,<br />
verziert mit verschiedenfarbigen Strichen, Flächen und Zahlen, vor allem rot, grün und gelb. Die<br />
meisten waren vergilbt und an den Rändern abgenutzt. Zwei der Bögen hatte Lanungo allerdings erst<br />
heute erhalten; sie vervollständigten das, was bereits in den Archiven der Botschaft eingelagert<br />
gewesen war.<br />
Das Warten hat nichts ergeben. Neue Erkenntnisse waren nicht dazugekommen. Jedes Vun'basvre war<br />
ins Leere gegangen. Und nichts war in Sicht, obwohl er durch die Befragung der Heiligen Krankheit<br />
sich dem Ziele schon so nahe gewähnt hatte. Nun ja, Selbstüberschätzung, Überschätzung der eigenen<br />
Deutungskraft. Der Ruf war so stark gewesen...