15.11.2012 Aufrufe

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />

sich sofort verlor, und der gewaltsame schwarz-weiße Strudel hallte ihm wieder von den seltsamen<br />

Worten: „Ihr! Ihr dauert mich, Ihr und Euer großer Haß! Daß die kurze Spanne Eures Lebens noch<br />

unter so unglücklichen Vorzeichen steht...!“<br />

Wie fremdartig es doch war, da Tin wie aus einer Betäubung erwachte und der Rote verschwunden<br />

war. Er zuckte umher, dann sah er ihn, einige Sprung weit hinter sich, ruhig die Straße<br />

herunterwandern. Mit einer erstaunlichen Gewandtheit riß Tin seinen Fuchs herum, daß Baran einen<br />

Satz zur Seite machen mußte, um nicht von dem erschrocken wiehernden Pferdeleib zu Boden<br />

geworfen zu werden.<br />

„Haa!“ brüllte Tin und zielte am den scharlachfarbenen Rücken - niemals vergesse ich und niemals!<br />

verzeihe ich - und drückte den Abzug: mit einem Klirren, dem scheppernden Singen sich lösender<br />

Schrauben, landete der Bolzen keinen Sprung weit in der Gosse, während der Junge entgeistert die<br />

auseinanderfallenden Teile seiner Armbrust durch die Finger gleiten ließ... Unmittelbar darauf war<br />

der Sammler aus dem Blickfeld verschwunden.<br />

Und das war das Schlimmste, als Baran seinen verstummten Herrn zurück in die Oberstadt führte, daß<br />

Tin von Erzfeld sich gedemütigt fühlte, gedemütigt und auf so traurige Weise zutiefst beschämt.<br />

Ein dichter, warmer Nebel lag, von grünlichem Leuchten durchzogen, im Tal des Beckens aus Kupfer<br />

und Stein. Er floß aus kreisrunden Höhlen in den Wänden der Halle hinab, füllte das Bassin, umwogte<br />

ein wuchtiges, achteckiges Plateau in der Hallenmitte wie Wolken den Gipfel eines Bergs. Dabei<br />

verdeckte er große Stufen, die von den Wänden in die Tiefe und aus der Tiefe zu jener Erhebung<br />

führten - allerdings schimmerten ja die grünen Lichter wegweisend an den Kanten der Trassen empor.<br />

Übrigens war es recht angenehm, auf diesen Stufen sich in den Dunst niederzulegen, denn er<br />

beeinträchtigte das Atmen keineswegs, war zudem wohlriechend und pflegte Haut und Gesundheit<br />

wie Milch.<br />

War man aber ins Becken hinab-, aus dem Becken dann wieder zu der Form aufgestiegen, war zu<br />

entdecken, daß in diese steinerne Erhebung eine runde Mulde gegraben war, eben wie in dem<br />

Sprichwort von dem steten Tropfen, und die Mulde war mit klarem Wasser gefüllt.<br />

Darin nun lag unbekleidet, haarlos bis auf die Brauen, der atamanische Sammler, die gefährlichen<br />

Augen geschlossen, und lauschte den Klängen des Sonophisbaëum, an dem der Botschafter ein<br />

kasralitisches Bühnenwerk vortrug, indem er, da als Taubstummer zum gewöhnlichen Vortrag<br />

außerstande, die Worte in Noten und Töne umsetzte: so verwandelte er die einfache Sprache in die<br />

besondere der Musik. Und Lanungo erfreute sich an der geistvollen Dichtung des Tulamur von Kasra,<br />

dessen derbe Wortspiele ihn immer wieder, so auch heute, erheiterten und unterhielten.<br />

Zwar glaubte er bisweilen, daß aller dichterische Einfallsreichtum nicht solche semala garka hervorbringen<br />

könnte wie...: „Ein Krüppel macht mit hallakinischem Büttel Jagd auf einen Anq'ushaq - oder<br />

Nuu-Giik, wie dieses Völkchen selbst sich nennt - diese Stadt ist wirklich ein Schmelztiegel...“ dachte<br />

er; indes wischte er den Gedanken an das Geschehnis leicht hinweg und lauschte wieder den Worten<br />

der Musik.<br />

Bald schon, nach dem zweiten Aufzug des Tulamur-Stücks, verlangte ihn mehr etwas wissenschaftliches,<br />

ernsthafteres, denn auch wenn er sich in die Baderäume der Botschaft zurückgezogen hatte, um<br />

sich zu entspannen, gab es doch ernste Dinge zu bedenken. Er hieß den Botschafter ein Traktat des<br />

Niklion ad Pars vorzutragen, Über die kleinsten Teile, und der alte Mann kam diesem Befehl<br />

unverzüglich nach.<br />

Lanungo löste sich von seinem Platz, ein wenig umherzuschwimmen; schließlich lagerte er wieder am<br />

flachen Rand der Mulde, kostete die eine oder andere Frucht, die in kristallenen Schalen bereitlag,<br />

summte noch das erste Kapitel der ad Pars´schen Abhandlung mit, um dann nach einigen Papieren zu<br />

greifen und sich darin zu vertiefen.<br />

Die Papiere enthielten Um- und Grundrisse von Räumen und Gebäudeblöcken, gekennzeichnet,<br />

verziert mit verschiedenfarbigen Strichen, Flächen und Zahlen, vor allem rot, grün und gelb. Die<br />

meisten waren vergilbt und an den Rändern abgenutzt. Zwei der Bögen hatte Lanungo allerdings erst<br />

heute erhalten; sie vervollständigten das, was bereits in den Archiven der Botschaft eingelagert<br />

gewesen war.<br />

Das Warten hat nichts ergeben. Neue Erkenntnisse waren nicht dazugekommen. Jedes Vun'basvre war<br />

ins Leere gegangen. Und nichts war in Sicht, obwohl er durch die Befragung der Heiligen Krankheit<br />

sich dem Ziele schon so nahe gewähnt hatte. Nun ja, Selbstüberschätzung, Überschätzung der eigenen<br />

Deutungskraft. Der Ruf war so stark gewesen...

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!