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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />

Erkenntnis<br />

Thomas Peter Goergen<br />

I<br />

Der Horizont wehte in einem sonnighellen, weiten Blau über den langgestreckt-gezackten Grat des<br />

großen Gebirges, das, wie ein sich träge wärmender Drachenrücken mit sonnengleißendem<br />

Schuppenkamm, die gespaltene Stadt einfaßte; es war ein später Nachmittag im späten Hamilé.<br />

Die Straßen der Oberstadt waren dichtbevölkert: aus den Gaststuben wucherte lärmendes, aufgeregtes<br />

Volk und der Marktplatz glich einer prallen Reuse, so eng wuseleten und überschlugen sich die Leute<br />

zwischen den Buden, Ständen und den Stufen der anliegenden Gebäude; während aber kaum<br />

gutgekleidete Bürger des nörderlichen <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s in dem Gewimmel zu sichten waren, drängten<br />

vor allem eher schäbige, abgezehrte Massen auf den Basar.<br />

Heute war „Großer Markt“, der Tag, an dem die Händler das abzusetzten versuchten, was in den<br />

vorherigen Wochen nicht über die Tische gegangen war: Früchte, Fleisch von mäßiger oder minderer<br />

Güte, hartes Brot und verdächtig riechende Milch - indes billig und als Großeinkauf für<br />

Unterstadtfamilien erschwinglich, die denn auch zu diesem Ereignis (jeweils am zweiten und am<br />

letzten Viertel eines Monats) scharenweise anreisten, um sich bis zum nächsten Großen Markte<br />

einzudecken. Im Zuge der städtischen Wohltätigkeit wurden den Bedürftigsten sogar billigere<br />

Brückenscheine angeboten, ein Entgegenkommen, das durchaus nicht alle Oberstädter guthießen, da<br />

die Schwärme armer Menschen ihnen unbehaglich waren, und das nicht nur aus Sorge um ihren<br />

Besitz...<br />

Allerdings nur dem Besitz und nicht dem schlechten Gewissen trug das starke Gardeaufgebot<br />

Rechnung; dieses und der Umstand, daß die Unterstädter sich meist zusammenrissen, um sich nicht<br />

den „Großen Markt“ zu verscherzen, gewährleisteten, daß dieser Tag regelmäßig störungsfrei verlief.<br />

Die Unterstadt selbst war demgemäß verlassen, da „ihre Hunde unter die Tische der Oberstadt<br />

krochen“, wie einige Spötter immer wieder abschätzig über das Ereignis befanden; wer nicht über die<br />

Brücke gezogen war, nahm sich den Tag als freie Zeit, und gerade im Hamilé lud die warme Sonne zu<br />

Dösereien auf den Dächern oder im Schatten des Stadtrandes ein - indes die massige Gestalt, die<br />

durch die Straßen des Rattenlochs strich, schien wenig Lust zu haben, sich mehr als nötig in die<br />

Sonne zu begeben, auch wenn wegen der leichten Brise ein Nickerchen unter freiem Himmel sicher<br />

sehr angenehm gewesen wäre... Allerdings in der Tat nur für Leute, die sich nicht unter dem wolligen<br />

Berg eines braunfilzigen Pelzes bewegt hätten wie dieser Mensch, der, mehr Bär als Mensch und<br />

tatsächlich mit ausgiebigem, feuchtem Hecheln, durch die Gassen streunte.<br />

Die Sonne sich auf den Pelz braten zu lassen, mußte nun wirklich nicht sein, und so stapfte Den<br />

Aloumenn-Vioù von einer Schankstube in die andere, die er meist leer, teils sogar geschlossen<br />

vorfand. Und so war er´s zufrieden, als er sich im „Zweischneidigen Schwert“ von der rostigen<br />

Magwa einen Tonkrug Reebenbrand besorgt hatte, den er jetzt zu seiner Behausung schaffte, um dort<br />

gemeinsam den Abend abzuwarten. Schon jetzt, auf dem Weg durch die schiefen, grauen Straßen,<br />

über die sich die bröckligen Fassaden teilweise so gefährlich neigten, daß sie nur noch durch Balken<br />

und anderes Stützwerk vor dem Einstürz bewahrt wurden, überkam ihn das traurige Gefühl, fern zu<br />

sein von seinen Bergen, den Klüften, wo jede Pfeilbreite Moos, jede kalkige Maserung des Steins,<br />

jeder krüppelige Baum ihm vertraut erschien - den rauchigen Feuerstätten der Zelte, der bunten Steine<br />

am Halse der Frau´n, den Lagerplätzen voll borstiger Geborgenheit... Die Enge der Gassen, das<br />

Unnatürliche des Verfalls bedrückte ihn, und brummend, seufzend eilte er weiter.<br />

Über die Pfade der südlichen Berge bewegte sich ein farbenfroher, schellenklingender Wagenzug.<br />

Fähnchen und Wimpel flatterten im Wind und die lustige Musik fremdartiger Flöten und Trommeln<br />

kündigte das fahrende Volk schon von weitem an, bevor die Vorhut der sich auf grauen Eseln<br />

gegenseitig jagenden, lachenden Kinder sichtbar wurde. Die Älteren und Alten lagen dabei faul auf<br />

den Dächern der Wagen oder den Rücken der Pferde und genossen das schöne Wetter.<br />

Es waren Nush'quai, vom Stamme der Rowan, eine kleine Gruppe von Nachzüglern der bereits<br />

vorausgezogenen Schar, auf dem Weg nach <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>, um dort das sommerliche Treiben für<br />

Kauf, Tausch und sonstigen Erwerb der Spielleute auszunutzen. Es mochten noch zwei, drei<br />

Tagensmärsche sein, bevor sie den Südrand der Stadt erreichen würden.

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