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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />

Lanungo seufzte. Leise plätscherte er mit den Fingern der rechten Hand über die Wasseroberfläche,<br />

während er sich mit der Linken mit dem Pergamente Luft zufächelte. Der Ruf, der Ruf... War da nicht<br />

ein weißer Fleck, gerade über seiner Hüfte? Ich werde alt, lächelte Lanungo bitter: hätte es damit<br />

nicht noch ein paar Jahrhunderte warten können? Er hatte die letzte Zeit wohl nicht sonderlich<br />

gesund, sehr kräftezehrend gelebt - andererseits, welcher Atamane tat das nicht? Ein weißer Fleck...<br />

Die Lilie, die dereinst entsteht, nicht wieder weicht, bis der Leib vergeht... Und die Baldsterblichen<br />

regten sich über ihre Falten auf!<br />

Er mußte an die ehrwürdigen Ahnen aus dem zweiten oder dritten neuen Hause denken; fast schon<br />

schneeweiß, faltenlos, aber so weiß wie die Wolken, daß sich die wenigen ungeweißten Stellen<br />

nahezu grau gegen die vom Alter blendende Haut ausnahmen. Und dann die Urahnen noch aus der<br />

Zeit vor Ah'kaldach - er, als Sproß des zweiundzwanzigsten neuen Hauses und noch nicht über die<br />

goldene Otter hinaus, hatte freilich nur aus Berichten über die Kinder der alten Häuser gehört: es hieß,<br />

sie trügen auch nur noch weiße Gewänder, die jeden kleinsten Lichtstrahl wiederwürfen, so daß sie<br />

ganz und gar schattenlos seien und von einer leuchtenden Erscheinung...<br />

Allerdings hieß es weiter, daß die weißen Gewänder allein Zeugnis seien für Ah'kaldach, dessen<br />

Zeugen die alten Häuser waren, denn weiß ist den Atamanai die Farbe des Tods.<br />

Nachdenklich starrte Lanungo auf seinen kleinen, weißen Fleck.<br />

Zeit kann nicht drängen. Aber Handeln tut not.<br />

Bald entstieg der Sammler dem Becken, um, nach einem kurzen Gang in den Nebel, die Bäder zu<br />

verlassen.<br />

Hohl. Die Gänge hoch und leer. Langgestreckt, leicht gekrümmt, die Wände, wiewohl aus<br />

Marmelstein, seltsam rauh, schuppig, mit langen Kratzern, als wären die Flure ausgehöhlt durch die<br />

schabenden Windungen eines riesigen Schlangenleibes. Spärliche Beleuchtung von mehrarmigen<br />

Fackelhaltern, die in regelmäßigen Abständen aus den Wänden staken.<br />

Die Luft war nicht angenehm, stickig, wohl verbraucht durch die brennenden Fackeln, obwohl die<br />

Gänge von ungeheuren Außmaßen zu sein schienen. Irgendwann näherte sich das Echo von Schritten.<br />

Es war eine dreiköpfige Gruppe; zwei hochgewachsene Männer in silberschuppigen Panzerkleidern,<br />

eine gebückte Gestalt in einem blauseidigen Kapuzenüberwurf, unter dem ein bodenlanges Gewand<br />

mit schwarz-weißem Rautenmuster hervorschlug. Die Hände in den Ärmeln vergraben, schritt sie<br />

hinter den Panzerknechten her. Es war ein eigentümlich mechanischer Anblick, als würden die drei<br />

von einer unsichtbaren Spieluhr getrieben. Sie mochten ewig so durch die Gänge gleiten.<br />

Aber auf einmal war etwas nicht mehr in Ordnung. Sie hielten an.<br />

Es war kein Luftzug in den Gängen - sollte keiner sein. Das waren steinerne Tunnel, hier tief im<br />

Innern des Tempels. Hier gab es keine Fenster, keine Schächte, keine Öffnungen nach draussen. Und<br />

die Flamme der Fackeln war steil und lotgerade, wie der senkrecht gen Himmel steigende Rauch eines<br />

gnädig aufgenommenen Opferfeuers.<br />

Aber die Fackeln zogen. Sie flackerten und tanzten. Und das konnte! konnte nicht sein.<br />

Dann sahen sie das Loch in der Deckenwölbung. Es war um die zweite Stunde nach Mitternacht.<br />

Der Sammler musterte den steinernen Torbogen, der ineinander verschlungene, sich im Kampfe<br />

zerfleischende Löwen und Panther mit lodernden Mähnen zeigte; die starren Körper spitzbogig<br />

gekrümmt über die Pforte, welche nicht aus einzelnen Latten gefertigt war, sondern aus einer einzige<br />

Scheibe aus dem Stamm eines uralten, mächtigen Baumes - mit dessen so verschwendeter Leib<br />

ansonsten wohl die Öfen geheizt worden waren, in denen sie das Schloß geschmiedet hatten: ein<br />

gußeisernes, weit aufgerissenes Löwenmaul, so groß wie ein menschlicher Kopf.<br />

Lanungo wußte, was für ein Schloß die Türe sicherte, hinter die zu dringen er gekommen war. Ein<br />

Schloß, das jeden Dietrich samt der Hand, die sich unerlaubt ihm näherte, abgebissen und<br />

verschlungen hätte. Der Sammler lächelte. Im rotbraunen Schein der roten Glut in den bronzenen<br />

Becken selbst kaum erkennbar, ein roter Schemen, trat Lanungo auf die Pforte zu, kramte in seinem<br />

Beutel - da war er ja, der Diebeshaken, der ihm schon so viele gute Dienste geleistet hatte - und<br />

machte sich an dem unheimlichen Rachen zu schaffen.<br />

Nur kurz glommen die stählernen Augenschlitze des Wächters wütend auf. Indes war er, die Schwarzkunst,<br />

die ihn belebte, nutzlos bei einem Atamanen, an dem nun jeder Zauber abrann wie Regen an<br />

einer Fensterscheibe. So sperrte er ohnmächtig die Kiefer auseinander, während der Sammler mit<br />

wenigen geschickten Versuchen die Sperren überwand - und dann öffnete sich lautlos die schwere

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