Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Diener des Lichtmeß I: Brianne - Janina Enders<br />
es fast für eine Ratte halten, aber nur auf den ersten Blick. Der fragile Körper saß nun dicht vor<br />
Briannes Nase und schnüffelte laut. Anscheinend gefiel ihm der Geruch der jungen Frau, denn das<br />
Tierchen sprang mit einem Satz auf ihre Hüfte und blickte von dort wieder in Briannes Gesicht.<br />
Ein leises Keckern entfuhr dem winzigen Mäulchen. Das hellrote Fell plusterte sich auf und das<br />
Tierchen fing an, seinen meterlangen Schwanz um sich selbst zu legen. Das dauerte einige Zeit und<br />
schließlich war das Tierchen fast in seinem eigenen Schwanz ganz verschwunden. Nur die großen<br />
Ohren lugten noch hervor.<br />
Brianne erwachte langsam und streckte beide Arme von sich. Sie hatte einige Mühe, die Augen zu<br />
öffnen, denn sie waren geschwollen... Wenn man sich jede Nacht in den Schlaf weint, leidet die Seele<br />
am nächsten Tag noch immer. Brianne spürte den Stein in ihrem Magen und schluckte trocken.<br />
„Wieder wach geworden“, dachte sie verbittert. „Wieder einen neuen Tag erleben...“<br />
Ein süßes Schnurren drang nun an ihr Ohr... sie drehte langsam den Kopf und starrte in die riesigen<br />
schwarzen Knopfaugen eines Wesens, welches sie noch nie zuvor gesehen hatte.<br />
Laut aufschreiend sprang Brianne auf und das fremdartige Tier flog im hohen Bogen durch die Luft.<br />
Nachdem es sich von seinem Schwanz befreit hatte, mit dem es sich fast stranguliert hätte, kam es<br />
verdutzt wieder auf die Beine.<br />
„Du hast mich zu Tode erschrocken, du...Ding.“ Brianne begutachtete das Tierchen, das sich nun<br />
ausgiebig putzte, amüsiert und ließ sich auf die Knie nieder. „Komm´ doch mal her du... was bist du<br />
nur? So etwas wie dich habe noch nie gesehen.“<br />
Etwas mißtrauisch, aber doch eher vertrauensselig tapste das hellrote Plüschtier auf die arietidische<br />
Kriegerin zu. Brianne streichelte es sanft... bald flossen ihr Tränen über die Wangen. Das Fell fühlte<br />
sich an, wie Emeralds Haar... Feste preßte Brianne ihr nasses Gesicht in den weichen Pelz und weinte<br />
nun hemmungslos. Die Anstrengung der letzten Tage, der Hunger... der Verlust ihres Gefährten... die<br />
kleine Kriegerin hatte alles in sich aufgesogen, den unsagbaren Schmerz, die unendliche Trauer...<br />
Das kleine Tier legte behutsam seinen Schwanz um Kopf, Hals und Schultern der weinenden Frau und<br />
leckte die zitternden Hände.<br />
Die beiden saßen lange so da, Brianne hielt das Tierchen an ihre Brust gedrückt und hatte den Kopf<br />
gesenkt. Das Licht der aufgehenden Sonne umarmte sie... wärmte aber nicht...<br />
Urplötzlich sprang die hohe Tür der Halle auf. Briannes Kopf fuhr hoch und das kleine Tier preßte<br />
sich fest an sie. Ein paar Bedienstete traten ein. Sie trugen Handtücher auf den Armen und zwei<br />
schoben einen großen Wachzuber herein.<br />
Einer trat an den Käfig und öffnete die Tür. Brianne stand vorsichtig auf. Jetzt sah sie, daß alle<br />
Bediensteten Waffen trugen... Keine Chance zur Flucht. Sie mußte ihren schwarzen Anzug ablegen<br />
und baden. Obwohl sie sich zuerst weigerte, genoß sie das heiße Wasser auf ihrer nackten Haut. Man<br />
zwang sie ein Kleid aus violetter Seide anzuziehen- Brianne hatte noch nie ein Kleid getragen! Man<br />
kämmte ihr kurzes Haar und frisierte es ordentlich. Die Lippen wurden mit einem roten Stift<br />
nachgezogen und schließlich rieb man ihre Hände, Füße und Hals mit wohlriechender Flüssigkeit ein.<br />
Die ganze Prozedur dauerte mehrere Stunden und keiner sagte auch nur ein Wort. Brianne fragte<br />
mehrmals, was sie mit ihr vorhatten, aber die einzige Reaktion, die sie bekam, war eine Klinge an<br />
ihren Hals.<br />
Als die Bediensteten mit Brianne fertig waren, wurde sie zurück in den Käfig geführt, wo sie sich auf<br />
ein Podest setzen sollte. Dann verschwanden die Priskaner so plötzlich, wie sie gekommen waren.<br />
Brianne saß stumm auf dem Podest und ließ die Beine baumeln. „Das ist nur ein Traum“, flüsterte sie.<br />
Doch das kleine Tierchen, das mit Leichtigkeit auf ihre Schultern sprang, belehrte sie eines Besseren,<br />
indem es ihr mit seiner kleinen Zunge herzhaft über die Wange schleckte. Brianne lächelte. „Du<br />
brauchst einen Namen, weißt Du?!“<br />
Die großen, schwarzen Augen blinzelten bejahend.<br />
„Tja, wenn ich nur wüßte, wie deine Rasse heißt...“<br />
„Es ist das einzige seiner Art.“<br />
Erschrocken sprang Brianne von ihrem Podest und starrte in das grinsende Gesicht von - „Fürst<br />
Agathon!“<br />
„Wie schön, daß du meinen Namen kennst, Arietidin. Denn ich kenne auch deinen... du bist Brianne,<br />
die Sängerin.“<br />
Agathons Gesicht wirkte gütig und milde, doch seine Augen glänzten hart und irgendwie...<br />
wahnsinnig.