15.11.2012 Aufrufe

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der Anfang - Peter Thomas Goergen<br />

noch hier und da - allerdings wollte der Schreiber des Meisters dadurch nicht verschwinden; er<br />

verharrte vielmehr, in seiner Erwartungshaltung nahezu eine Belästigung, im Türrahmen, mit einem<br />

Blick in seinem schiefen Köpfchen wie ein Vogel, der sich anschickt, Körner zu picken.<br />

Mißmutig stemmte sich Torador in seinem Stuhle hoch, der Meinung, die verschiedensten<br />

Gedankenfäden, die er vor sich soeben ausgesponnen hatte, wie durch einen böswilligen Windstoß<br />

wieder zu verlieren. Fast trotzig kritzelte er noch etwas mit dem Gantenkiel auf ein leeres Pergament<br />

(irgend etwas, den Namen seiner Mutter): „Ja doch“, murrte er, „ja doch“, und er wiederholte sich, bis<br />

er, mit einem widerwilligen Seitenblick auf den Schreiber, an diesem vorbei durch die Türe ging und<br />

über mehrere Stiegen, weißgekalkte Gänge und Hallen, in denen artig nickende Pfleger warteten, erst<br />

ins Vorzimmer, dann in den Würderaum des Großmeisters der Lyzeum gelangte.<br />

Dieser, gerade mit einem Schürhaken in der kalten Asche eines Steinofens stochernd, wandte sich, als<br />

er die Türe hinter Torador ins Schloß fallen hörte, mit liebenswürdigem Lächeln dem Heiler zu. „Ah,<br />

Torador“, rief er mit seiner fast dröhnenden Herzlichkeit, „Meister Broschakal, ich darf doch bitten“,<br />

wies er auf einen freien Stuhl an seinem Tisch - er hat Besuch? dachte Torador überrascht - „das ist<br />

der Herr Buzecchia, ein - Reisender von weit her, ein großzügiger (versteht Ihr, Broschakal?), ein<br />

außerordentlich großzügiger Gönner unseres Hauses, das zu sehen er sich heute hierher bemüht hat!“<br />

Und in die erwartungsvolle Stille erhob sich, begleitet von scharlachrotem Rauschen, der Sammler<br />

und begrüßte den sprachlosen Heiler auf das höflichste.<br />

Eine Weile führte Torador den Besucher durch die Räume und Gänge der Lyzeum, den Blick starr<br />

nach vorne gerichtet, als erwartete er jeden Augenblick genau da vorne eine sich öffnende Tür;<br />

Fragen seines Begleiters beantwortete er aufmerksam, aber kühl.<br />

Der Sammler besah sich alles ausführlich, die dampfenden Moorbäder, die teils doch grausam<br />

anmutenden Gerätschaften der Behandlungszimmer, die medizinische Schriftensammlung und die<br />

Speise- und Ruheräume der Pflegschaft. Er machte den Eindruck, als könnte noch die kleinste<br />

Nebensächlichkeit seine Achtsamkeit nicht erlahmen, und äußerte sogar Lob über die Topfpflanzen<br />

des Vestibüls. Alles in allem fühlte sich Torador erschreckend fehl am Platze.<br />

Doch schließlich, der Heiler hatte sich beim Abschreiten einer längeren Wandzeile von anatomischen<br />

Kupferstichen sogar zu einer fast blumenreichen Schilderung durchgerungen, gewahrte er, als er einen<br />

kurzen Blick rückwärtig warf, wo der Atamane ihm bisher geduldig, ein Tritt Abstand gefolgt war,<br />

daß dieser verschwunden war.<br />

Torador wußte nicht, was zu tun war. Vorsichtig spähte er den Gang hinunter, den sie gekommen<br />

waren, wo er den Roten noch duldsam hinter sich herzugehen vermeint hatte. Nichts.<br />

Zu dieser Tageszeit waren nur wenige Pfleger unterwegs; der Gedanke, daß der 'Herr Buzecchia'<br />

unbeaufsichtigt durch die Lyzeum lief, mißfiel Torador so sehr, daß er, völlig ratlos und verwirrt, ein<br />

wenig verärgert, sich in Bewegung setzte, erst langsam, dann mit immer weitausgreifenderen<br />

Schritten den Flur hinuntereilte - nein, das ist nun seine Sorge nicht, nein, der Fremdenführer ist er<br />

nicht - schwungvoll um die nächste Biegung rannte...<br />

„Hier bin ich doch“, sagte der Sammler.<br />

Er saß auf einer kleinen Bank an einem kleinen Fenster und beobachtete den Regen, der von der<br />

Scheibe perlte, in seine roten Tücher gewickelt, als gedächte er ein Nickerchen zu machen, und das<br />

einzige von ihm, was nicht in scharlachfarbenem Stoff verschwand, war sein blasses, faltenloses<br />

Angesicht mit einem überaus unschuldigen Ausdruck darin.<br />

„Hier bin ich doch“, sagte er also und Torador verlangsamte, doch etwas knapp im Atem und kam bei<br />

seinem Gast zum Stehen.<br />

„Ich fürchte“, sagte er vorwurfsvoll, „Ihr wurdet mit den Obliegenheiten für unsere Besucher nicht<br />

hinreichend vertraut gemacht. Es ist (gestattet mir, daß ich sie Euch kurz zusammenfasse) zunächst<br />

nicht statthaft, alleine - sozusagen ohne Begleitung...“ er unterbrach sich, denn der Atamane gab ein<br />

glucksendes, kullerndes Geräusch von sich, gerade so, als überkäme ihn eine plötzliche Übelkeit.<br />

Indes, der Umstand, daß die Mundwinkel des Roten sich sonnig verbreiterten und zum ersten Male<br />

sich Fältchen in den Augenwinkeln zeigten, bedeutete Torador etwas anderes: sein Gegenüber hatte<br />

begonnen zu lachen. Er saß auf der Bank und wiegte sich in einem leisen, sonnigen Gelächter. Also<br />

was...<br />

„Nun“, Torador war doch leicht beleidigt, „wenn Ihr nicht wollt, daß ich...“<br />

Der andere hielt inne. „O bitte, bitte“, sagte er erstaunlich ernst. „Ich wollte Euch nicht kränken. Es ist<br />

nur so...“, er erhob sich gemächlich zu seiner eindrucksvollen Länge, musterte den kleinen Heiler, den

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!