Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Der Anfang - Peter Thomas Goergen<br />
noch hier und da - allerdings wollte der Schreiber des Meisters dadurch nicht verschwinden; er<br />
verharrte vielmehr, in seiner Erwartungshaltung nahezu eine Belästigung, im Türrahmen, mit einem<br />
Blick in seinem schiefen Köpfchen wie ein Vogel, der sich anschickt, Körner zu picken.<br />
Mißmutig stemmte sich Torador in seinem Stuhle hoch, der Meinung, die verschiedensten<br />
Gedankenfäden, die er vor sich soeben ausgesponnen hatte, wie durch einen böswilligen Windstoß<br />
wieder zu verlieren. Fast trotzig kritzelte er noch etwas mit dem Gantenkiel auf ein leeres Pergament<br />
(irgend etwas, den Namen seiner Mutter): „Ja doch“, murrte er, „ja doch“, und er wiederholte sich, bis<br />
er, mit einem widerwilligen Seitenblick auf den Schreiber, an diesem vorbei durch die Türe ging und<br />
über mehrere Stiegen, weißgekalkte Gänge und Hallen, in denen artig nickende Pfleger warteten, erst<br />
ins Vorzimmer, dann in den Würderaum des Großmeisters der Lyzeum gelangte.<br />
Dieser, gerade mit einem Schürhaken in der kalten Asche eines Steinofens stochernd, wandte sich, als<br />
er die Türe hinter Torador ins Schloß fallen hörte, mit liebenswürdigem Lächeln dem Heiler zu. „Ah,<br />
Torador“, rief er mit seiner fast dröhnenden Herzlichkeit, „Meister Broschakal, ich darf doch bitten“,<br />
wies er auf einen freien Stuhl an seinem Tisch - er hat Besuch? dachte Torador überrascht - „das ist<br />
der Herr Buzecchia, ein - Reisender von weit her, ein großzügiger (versteht Ihr, Broschakal?), ein<br />
außerordentlich großzügiger Gönner unseres Hauses, das zu sehen er sich heute hierher bemüht hat!“<br />
Und in die erwartungsvolle Stille erhob sich, begleitet von scharlachrotem Rauschen, der Sammler<br />
und begrüßte den sprachlosen Heiler auf das höflichste.<br />
Eine Weile führte Torador den Besucher durch die Räume und Gänge der Lyzeum, den Blick starr<br />
nach vorne gerichtet, als erwartete er jeden Augenblick genau da vorne eine sich öffnende Tür;<br />
Fragen seines Begleiters beantwortete er aufmerksam, aber kühl.<br />
Der Sammler besah sich alles ausführlich, die dampfenden Moorbäder, die teils doch grausam<br />
anmutenden Gerätschaften der Behandlungszimmer, die medizinische Schriftensammlung und die<br />
Speise- und Ruheräume der Pflegschaft. Er machte den Eindruck, als könnte noch die kleinste<br />
Nebensächlichkeit seine Achtsamkeit nicht erlahmen, und äußerte sogar Lob über die Topfpflanzen<br />
des Vestibüls. Alles in allem fühlte sich Torador erschreckend fehl am Platze.<br />
Doch schließlich, der Heiler hatte sich beim Abschreiten einer längeren Wandzeile von anatomischen<br />
Kupferstichen sogar zu einer fast blumenreichen Schilderung durchgerungen, gewahrte er, als er einen<br />
kurzen Blick rückwärtig warf, wo der Atamane ihm bisher geduldig, ein Tritt Abstand gefolgt war,<br />
daß dieser verschwunden war.<br />
Torador wußte nicht, was zu tun war. Vorsichtig spähte er den Gang hinunter, den sie gekommen<br />
waren, wo er den Roten noch duldsam hinter sich herzugehen vermeint hatte. Nichts.<br />
Zu dieser Tageszeit waren nur wenige Pfleger unterwegs; der Gedanke, daß der 'Herr Buzecchia'<br />
unbeaufsichtigt durch die Lyzeum lief, mißfiel Torador so sehr, daß er, völlig ratlos und verwirrt, ein<br />
wenig verärgert, sich in Bewegung setzte, erst langsam, dann mit immer weitausgreifenderen<br />
Schritten den Flur hinuntereilte - nein, das ist nun seine Sorge nicht, nein, der Fremdenführer ist er<br />
nicht - schwungvoll um die nächste Biegung rannte...<br />
„Hier bin ich doch“, sagte der Sammler.<br />
Er saß auf einer kleinen Bank an einem kleinen Fenster und beobachtete den Regen, der von der<br />
Scheibe perlte, in seine roten Tücher gewickelt, als gedächte er ein Nickerchen zu machen, und das<br />
einzige von ihm, was nicht in scharlachfarbenem Stoff verschwand, war sein blasses, faltenloses<br />
Angesicht mit einem überaus unschuldigen Ausdruck darin.<br />
„Hier bin ich doch“, sagte er also und Torador verlangsamte, doch etwas knapp im Atem und kam bei<br />
seinem Gast zum Stehen.<br />
„Ich fürchte“, sagte er vorwurfsvoll, „Ihr wurdet mit den Obliegenheiten für unsere Besucher nicht<br />
hinreichend vertraut gemacht. Es ist (gestattet mir, daß ich sie Euch kurz zusammenfasse) zunächst<br />
nicht statthaft, alleine - sozusagen ohne Begleitung...“ er unterbrach sich, denn der Atamane gab ein<br />
glucksendes, kullerndes Geräusch von sich, gerade so, als überkäme ihn eine plötzliche Übelkeit.<br />
Indes, der Umstand, daß die Mundwinkel des Roten sich sonnig verbreiterten und zum ersten Male<br />
sich Fältchen in den Augenwinkeln zeigten, bedeutete Torador etwas anderes: sein Gegenüber hatte<br />
begonnen zu lachen. Er saß auf der Bank und wiegte sich in einem leisen, sonnigen Gelächter. Also<br />
was...<br />
„Nun“, Torador war doch leicht beleidigt, „wenn Ihr nicht wollt, daß ich...“<br />
Der andere hielt inne. „O bitte, bitte“, sagte er erstaunlich ernst. „Ich wollte Euch nicht kränken. Es ist<br />
nur so...“, er erhob sich gemächlich zu seiner eindrucksvollen Länge, musterte den kleinen Heiler, den