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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Eine Art von Nacht - Jeanette Kaz<br />

Oberin recht gehabt, als sie den Rat des Hauptmanns, sich ein passendes Gebäude in der Oberstadt zu<br />

suchen, abgelehnt hatte. Wenn es Arbeit für die kleinen Schwestern gab, dann hier!<br />

Viril versuchte seufzend - und vergeblich - auf der harten Holzbank eine bequeme Lage zu finden. Sie<br />

saß nun schon seit dem frühen morgen hier, irgendwo in den Irrgängen der Feste desTriumvirats, und<br />

wartete, daß der zuständige Beamte Zeit für sie hätte. Als sie vor Monaten <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> durch das<br />

Haupttor betraten, hatte der Hauptmann … wie hieß er doch gleich? Jedenfalls hatte er ihr - und nur<br />

ihr - einen beschränkten Passierschein ausgestellt. Es konnte aber auf die Dauer nicht angehen, daß<br />

ihre Mitschwestern auf die Unterstadt beschränkt blieben. Man hatte ihr schon vor Wochen zugesagt,<br />

daß sie die Passierscheine erhalten würden, aber bis heute war nichts geschehen.<br />

„Die Wahlen, gute Frau, die Wahlen. Wir haben keine Zeit! Schließlich, wer weiß schon, was danach<br />

an Regelungen umgeworfen oder gar ins Gegenteil verkehrt wird? Habt Geduld, gute Frau, habt<br />

Geduld.“ Das war das ewig gleiche Lied, das sie gehört hatte, wann immer es ihr überhaupt gelang,<br />

mit dem zuständigen Mann persönlich zu sprechen. Sie hatte auch die vage Vermutung, daß es<br />

diesesmal nicht anders sein würde, sofern sie nicht die kleine Börse ins Spiel brachte, die sie<br />

mittlerweile unangenehm drückte.<br />

„Süßes Hale! Ich hab' Dir doch gesagt, Du sollst ihn festhalten!“ Airan fluchte, untersuchte die<br />

Wunde und stellte erleichtert fest, daß sie nicht abgerutscht war. Der Mann, der ihr beinahe das<br />

eigenwillig geformte Messer aus der Hand geschlagen hätte, stöhnte und wand sich auf dem Tisch.<br />

Sie legte es zur Seite und atmete tief durch. Dann sprang sie den riesigen Mann an, der wie ein<br />

Haufen Gelee zitterte, als sie ihn gegen die Brust stieß. „Verflucht, Harl! Es ist doch nicht so, daß Du<br />

noch nie Blut gesehen hättest! Schlimm genug, daß ich an ihm arbeiten muß, wo hier alles … ah,<br />

bah!“ Sie steckte ihre bloßen Arme nochmals bis zu den Ellebogen in die Schüssel mit dem bereits<br />

blutigen Wasser und seifte sie verbissen ein. Der Wirt des „Totenkopf“ wischte sich den Schweiß von<br />

der Stirn. „Das ist es ja nicht, aber Du … Du steckst bis über die Handgelenke in seinen verdammten<br />

Eingeweiden!“ Airan hob den Kopf und funkelte ihn an. „Deshalb hast Du mich doch holen lassen,<br />

oder? Die Quacksalberin, die Dir sonst Deine Gäste wieder zusammenflickt hat ihn doch schon<br />

aufgegeben, schon vergessen?“ Ihre Hände und Arme waren rot und brannten von der scharfen Seife,<br />

aber das ließ sich nicht vermeiden, wenn der Mann auf dem Tisch überhaupt noch eine Chance haben<br />

sollte.<br />

Airan wußte nicht, wer er war, und wollte es auch nicht wissen. In jedem Fall hatte er eine<br />

Entzündung im Leib, die man von außen nicht sehen konnte. Und weil man sie nicht sehen konnte,<br />

hatte er sie so lange mit sich herumgeschleppt, bis er in Harls Kneipe frühmorgens<br />

zusammengebrochen war. Aus dem gleichen Grund hatte es auch bis mittag gedauert, bis der Wirt<br />

nach ihr rufen ließ. Zuerst hatte er den Mann einfach vor die Tür geworfen, wie er das mit<br />

hoffnungslos betrunkenen Gästen wohl tat, aber als er am morgen immer noch dort lag - ohne auch<br />

nur eine einzige Münze oder einen sonstigen Wertgegenstand mehr am Leib - süßes Hale, nicht<br />

einmal die Stiefel hatten sie ihm gelassen! -, stöhnend, und außerstande zu gehen, da hatte Harl nach<br />

einer Heilerin gerufen. Möglichst einer, die so gut wie nichts für ihre Dienste verlangte. Und als die<br />

nur die Schultern zuckte, da hatte er sich an sie, Airan, erinnert. Nicht weil ihr der Ruf einer<br />

gesegneten Heilerin vorausgeeilt war, natürlich. Vielmehr, weil man mittlerweile wußte, daß die<br />

kleinen Schwestern immer halfen, wenn sie gebraucht wurden, notfalls auch, wenn nicht mit der<br />

geringsten Gegenleistung zu rechnen war. Schön dumm, dachte sich Airan, in einer Stadt wie dieser<br />

…<br />

Schließlich war es ihr gelungen, daß entzündete Stück Eingeweide zu entfernen und den Mann wieder<br />

zuzunähen. Sie kippte nochmal einen Schwung von dem scharfen Fusel, den Harl für besondere Gäste<br />

zur Seite stellte, über die Wunde. „Gib' ihm den Rest aus der Flasche!“ Damit drückte sie dem fetten<br />

Mann die fast leere Flasche in die Hand. „Aber … das ist mein bester Schnaps!“<br />

„Interessiert mich nicht. Du hast mich gerufen, ich hab' ihn zusammengeflickt, und ich habe keine<br />

Lust, ihn jetzt schon aufwachen zu lassen, weil wir ihn noch durch die halbe Unterstadt tragen<br />

müssen.“ Airan tauchte ihre Arme ein letztes Mal in die lauwarme Brühe auf dem Nebentisch. Hinter<br />

dem Tresen standen zwei von Harls Knechten und starrten neugierig herüber. „Ihr beide! Besorgt ein<br />

Brett! Wir müssen ihn in unser Haus bringen.“<br />

Mit einen Knall stellte Harl die Schnapsflasche auf den Holztisch. „Was soll das! Du verschwendest<br />

meinen Selbstgebrannten und jetzt kommandierst Du auch noch meine Leute herum! Wer glaubst Du,<br />

wer Du …“ Blitzartig griff sich Airan das blutverschmierte Messer, daß neben dem Kranken auf dem

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