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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />

Den drückte sich vorsichtig durch die Überreste eines umgestürzten und wegen der Räder und des<br />

Holzes ausgeschlachteten Heuwagens, welche wie das Gerippe eines übergroßen Tieres die<br />

Seitenstraße verkeilten. Ein paar Raben flogen, aufgeschreckt, zwischen den Sparren von ihrer<br />

verwesenden Mahlzeit auf (für eine Katze zu groß, wohl eher ein Hund) und flatterten zeternd durch<br />

die Gasse davon. Noch gedankenversunken, dann und wann am Korken seines Kruges schnobernd,<br />

duckte sich Den an den groben Wänden, die den Weg säumten, entlang, als ihm ein heftiger Schmerz<br />

in der Schulter das Gefäß entriß, daß es zu Boden fiel und zersprang. Er taumelte, aus seiner rechten<br />

Schulter ragte der Schaft eines Armbrustbolzens.<br />

Der Schütze wartete am Ende der Straße, eine halbe Pfeilweite entfernt. Ein seltsamer Sattel hielt ihn<br />

auf dem Rücken eines großen Pferdes - er saß merkwürdig gedreht in dem stuhlartigen Gerät, seine<br />

festgeschnallten Beine hingen an der rechten Flanke des Tiers, und ebenso von rotbrauner Farbe wie<br />

das Fell seines Fuchses war sein eigenes Haar. Gerade legte er, und er ließ sein Ziel nicht aus den<br />

Augen, einen neuen Bolzen in die Armbrust.<br />

Den wich zitternd zurück. Die Wunde pulste, er meinte ihren Blutfluß zu hören, mit dem sein Fell sich<br />

langsam tränkte: mit einem gequälten Schrei fuhr er herum, als er die Gestalten gewahrte, die sich<br />

schattenhaft hinter dem Wrack des Heuwagens bewegten. In seinem Rücken öffnete sich die<br />

Hochgasse, die, wie er sich dunkel erinnerte, nach kurzer Strecke an einer hohen Mauer endete. Dort<br />

war kein Ausweg, und dort, von wo er kam, lauerten fremde Männer, und wohin er gehen wollte, dort<br />

stand der entsetzliche Reiter und zielte auf ihn...<br />

„Baran“, sagte Tin von Erzfeld, „wissen die Männer, daß sie das Vieh aufhalten sollen, wenn er versucht,<br />

mir aus der Schußbahn zu laufen?“<br />

Der große Mann, der die Zügel hielt, nickte stumm.<br />

Der Junge lächelte freudlos. „Gut!“ Mit einem kalten Klacken rastete der Bolzen in die Schiene ein.<br />

Den wußte nicht, was er tun sollte. Der Reiter würde ihn mit Bolzen spicken wie die Nadeln den Ast<br />

einer Krüppelkiefer, und dann würde er tot sein, tot in den engen Straßen dieser gemeinen Stadt und<br />

dann würden auch ihm die Raben im Nacken sitzen und die Ratten in der Nacht...<br />

„Tatzenviech!“ Die Stimme, eine eigentümlich singende, schleppende Stimme, hallte die Wände<br />

entlang. Den kannte die Stimme. „Tatzenviech, hörst Du mich? Ich bin sicher, Du hörst mich.<br />

Viehzeug wie Du hat doch gemeinhin gute Ohren...“<br />

Die Schulter wurde taub.<br />

„Tatzenviech, Bärendreck, ich werde Dich töten. Ich werde Dich jetzt töten, Bärenviech, hast Du<br />

gehört?“ Nein, ich vergesse nichts, dachte der Junge grimmig, nichts habe ich noch als mein<br />

Gedächtnis. O, wenn es doch winseln würde, die letzte, größte Süßigkeit wäre das. „Ich werde Dich<br />

jetzt töten“, wiederholte er noch einmal, leise zu sich, und faßte das hilflos zusammengesunkene<br />

Geschöpf, das sich schutzsuchend in einen Winkel kauerte, ins Auge: „Ein einfacheres Ziel als<br />

fliegende Krähen...“, murmelte er, als er den breiten, in stillem Jammer sich wiegenden Schädel über<br />

der Kimme so nah und deutlich schon zu sehen glaubte wie auf nur wenige Schritt heran... Er kam<br />

nicht zum Schuß. Etwas griff nach der Waffe und hielt sie fest, im nächsten Augenblick war sie<br />

seinen Händen entwunden.<br />

Den blickte auf, als ein Schrei durch die Gasse gellte.<br />

Tin stierte auf den Fremden, der Mund noch weit vom Schrei, und starrte auf die flammend<br />

gewandete, wehende Gestalt, die aus dem Nichts aufgetaucht war, nicht einmal das Pferd hatte sich<br />

gerührt. Die nun seine Armbrust in Händen hielt, einen kupferumwundenen Stab locker in die Beuge<br />

des langen Arms gelegt, und die Waffe aufmerksam, wenn auch ausdruckslos betrachtete.<br />

Tin fühlte einen eisigen Schauer: „Baran“, schrie in einem hohen, schrillen Ton, „Baran, Du sollst ihn<br />

- mach' ihn...“ „Cusa val?“ fragte der Sammler, sanft und höflich. Der Diener rührte sich nicht von der<br />

Stelle.<br />

Den hörte ein Poltern hinter sich und als er um die Ecke spähte, sah er hinter dem Heuwagen die<br />

Straßen leer. Dort hinten nur sah er den Reiter und seinen Knecht und den roten Mann, das Gespenst<br />

aus den Märchen seiner Frischlingstage. Aber das Gespenst hielt das kleine, böse Werkzeug des<br />

Reiters und ein warmes Licht, wie es Gespenster nicht ertrügen, lag auf ihm... Seine Wunde<br />

schmerzte, so daß er beiseite kroch, durch das Bretterwerk des Wracks, und machte, daß er davonkam.<br />

„Baran!“ Tin stieß einen verzweifelten Fluch aus: „Baran!!“<br />

Da reichte ihm der Rote unvermittelt die Armbrust. „Hier, Cer nui“, sagte er nur - „Fetak“, schrie Tin<br />

ihm entgegen: „Seelenräuber, Dieb! Daß die Scheiterhaufen Dich verschlingen, Teufelsknecht! Das -<br />

hast - Du - nicht - umsonst - getan...!“ Da öffneten sich ihm - die Augen des Atamanen, in denen er

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