Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Vogelfreiheit - Stephan Packard<br />
Auftrag des Alten, dann holte sie sich ein kleines Stück Pergament, griff nach einem Stück<br />
unverbrauchter Kohle aus dem kleinen Eimer neben dem Eingang und begann, einen Entwurf zu<br />
zeichnen.<br />
���<br />
Die Sonne wanderte im Verlauf des Tages über <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> und die anderen Ostländer hinweg,<br />
streifte das Reich der Multorier, schickte ihr bleiches Herbstlicht dem hallakinischen Imperium,<br />
schenkte einem der letzten Nuu-Giik rote Abendstunden, bis er an den Wunden, die die grausame<br />
Nordfaust ihm geschlagen hatte, verblutete. Hinter den letzten Ausläufern des Gebirges verschwand<br />
ihr Licht, dann wurde es dunkel und Nacht auf Nontariell.<br />
II.<br />
Wie jeden Morgen seit Anbeginn der Welt vollzog sich auch an diesem Morgen wieder das<br />
unendliche Wunder, das den Bewohnern Nontariells Leben und Licht schenkte: In der unruhigen<br />
Ostsee, die wilde Stürme peitschten und hohe Flutwellen durchzogen, wurde die Sonne<br />
wiedergeboren und verteilte ihre warmen Strahlen von Neuem auf die Welt.<br />
Noch in der Kälte des frühen Tages wirbelten auch die Krähen aufs Neue hoch hinauf in den<br />
Himmel, umkreisten die Häuser <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s und ließen ihr nervtötendes Geschrei erklingen. Das<br />
ganze Land bedeckten sie, nur die einsame Mine im Nordwesten sparten sie aus.<br />
Der Einzelne blickte lange Zeit auf den fünfeckigen Stern. Drei Strahlen besetzt, es fehlten noch<br />
zwei Schlüssel. Es war nicht ganz einfach gewesen, die ersten drei aufzuspüren; der erste hatte<br />
Jahrhunderte lang in der Bibliothek der anderen herumgelegen, und er hatte ihn mit sich genommen,<br />
als er sich von ihnen absonderte und seinen eigenen Weg anfing. Wahrscheinlich hatten sie sein<br />
Fehlen nie bemerkt; weder den Schlüssel noch den Einzelnen selbst würden sie vermissen. Er<br />
vermißte die anderen auch nicht.<br />
Den zweiten hatte er gegen teures Geld bei einem fahrenden Händler erworben, den er in den<br />
Südländern getroffen hatte. Damals ahnte er noch nicht einmal, daß diese beiden Stücke<br />
zueinandergehörten, hatte nicht die geringste Vorstellung vom wahren Wert der Artefakte.<br />
Erst als ihm der dritte Schlüssel auf dem fremden Boden eines anderen Kontinents in die Hände<br />
gefallen war, erkannte er den Wert dieser Kleinodien. Sie sollten ihm ein Tor öffnen, er würde<br />
hinübergehen in die andere Welt, und wenn er dann zurückkehrte, würde er mächtig genug sein,<br />
daß die anderen in ihren verstaubten Hallen und zwischen ihren vergilbenden Pergamenten ein<br />
weiteres Buch schreiben müßten - ein Buch über ihn, eine ganze Enzyklopädie!<br />
���<br />
Manyr erwachte aus einem Alptraum.<br />
Die ganze Nacht hindurch hatte ihn die junge Schmiedin mal als Mensch und mal mit dem Körper<br />
einer Krähe durch dunkle Tunnel und düstere Gänge gejagt, immerzu kreischend: „Perger! Du bist<br />
ein Perger!“<br />
Er holte mehrmals tief Luft und schüttelte sich dann. War es falsch gewesen, eine Bewohnerin der<br />
Stadt anzusprechen? Hatte er sich verraten? Gewiß ahnte die junge Frau, daß er etwas zu<br />
verbergen hatte - was, wenn sie kam, um nachzusehen, was es war?<br />
Die Krähenfigur würde ihm sicherlich gute Dienste leisten, und er brauchte dringend eine<br />
Möglichkeit, den Geheimnissen im Rattenloch beizuwohnen, während sie noch passierten. In<br />
den letzten zwei Jahren hatte sich mehr wunderbares und seltsames zwischen den kleinen, eng<br />
beieinander stehenden Häuschen und in den verräucherten Tavernen getan als in den ganzen vierzig<br />
Jahren davor - wie es dazu kam, war ihm schleierhaft, aber es waren offensichtlich eine Menge<br />
Dinge in Bewegung geraten.<br />
Es reichte nicht mehr aus, den stillen Schreiber zu spielen und sich darauf zu verlassen, die<br />
Menschen würden mit ihren Geheimnissen schon selbst zu ihm kommen. Er seufzte tief auf und<br />
stand auf. Ein Mal erlaubte er sich zu gähnen, dann begann er die Morgenmeditation, die die Sonne<br />
auf ihn aufmerksam machen und ihr Feuer in seine Kraft fließen lassen sollte.