Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Der Ruf des Falken - Claudia Wamers * Jürgen Nilkens * Oliver Nothers * Robert Symons<br />
Erscheinung schon recht deutlich hervor. Sion wunderte sich noch, was sie wohl in der Stadt wollte,<br />
als sie auch schon in ihre ursprüngliche Richtung weiterritt.<br />
Kurz vor dem Lagerplatz der Nushq´qai brachte sie ihr Pferd noch einmal zum stehen. Da war doch<br />
eine Bewegung im Unterholz zu ihrer linken gewesen...? Langsam und vorsichtig drehte sie den Kopf<br />
in die Richtung, aus der sie etwas vernommen zu haben glaubte, und wirklich, sie wurde beobachtet,<br />
von - einem Fuchs. „Du solltest dich eigentlich am wenigsten darüber wundern, daß ich noch lebe,<br />
werter Namensvetter.“ Der Fuchs blickte sie verständnislos an. Die junge Frau lachte. „Ach, wenn du<br />
mich verstehen könntest, das wäre schon was... du könntest mir vielleicht erzählen, was hier so in der<br />
Gegend passiert ist, seit ich nicht mehr als die Füchsin durch die Straßen des Rattenlochs gestreift<br />
bin... ach, jetzt schwelge ich schon wieder in Erinnerungen... wollen doch mal sehen, ob sich die nicht<br />
auffrischen lassen... mach´s gut, Gevatter Fuchs! Hüa!“ Und mit diesen Worten lenkte sie ihr Pferd im<br />
leichten Trab auf das Nushq´qailager zu. Zurück blieb ein etwas irritierter Fuchs, der sich wünschte,<br />
das, was er eben gehört hatte doch verstehen zu können. Es war ihm zwar noch nie passiert, daß ihn<br />
eins dieser großen Menschenwesen angesprochen hatte, aber dieses hatte offensichtlich seinen Spaß<br />
daran gehabt... Seltsam.<br />
Das Lager der Nushq´qai war auch nicht anders als die, die sie bisher gesehen hatte: Eine Wagenburg<br />
um ein großes Lagerfeuer herum, und jede Menge reges Treiben zu jeder Tages- und Nachtzeit, wie<br />
auch jetzt. Ein junger Mann saß beim Feuer und schnitzte etwas, wobei ihm eine junge Frau<br />
aufmerksam über die Schulter schaute; einige Kinder spielten Fangen; eine ältere Frau flocht gerade<br />
einen Korb. Es war schon über ein Jahr her, daß sie in einem Nushq´qailager zu Gast gewesen war,<br />
aber in diesem Moment kam es ihr wie gestern vor. Ein junger Mann kam auf sie zu, um sie zu<br />
begrüßen. „Seid gegrüßt, werte Dame. Kann ich euch vielleicht irgendwie behilflich sein?“ Die junge<br />
Frau mußte lächeln. Sie hatte diese Floskel mittlerweile schon ein paar mal gehört, und<br />
glücklicherweise hatte sie die 'richtige' Antwort im Gedächtnis behalten. „T´sh´awna d´jomé,<br />
Rjallek.“ Sie mußte kichern. Der Nushq´qai, der sie noch soeben forsch angesprochen hatte, mußte<br />
erst einmal seine Kinnlade wieder vom Boden aufsammeln. Eine Antwort in seiner Sprache hatte er<br />
wohl nicht erwartet, noch dazu die, die als Kennungsantwort der Freunde der Nushq´qai nur eben<br />
diesen bekannt war. Nachdem er wieder einen klaren Gedanken gefaßt hatte, wollte er sofort in<br />
Richtung eines der Wagen losspurten, wurde aber von der jungen Frau davon abgehalten. „Jark.<br />
Bw´temwe. Sh´houri temwe bw´fwlla, al sh´himbli zlat prjat.“ Der Nushq´qai drehte sich zu ihr um,<br />
zuckte mit den Achseln, nickte ihr dann zu und winkte ihr noch hinterher, als sie ihren Weg in die<br />
Südstadt <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong>s fortsetzte.<br />
Die 'Straßen' der Südstadt, wenn man sie denn als so etwas bezeichnen konnte, hatten sich nur in einer<br />
Hinsicht verändert: Sie waren noch schmutziger geworden und stanken noch bestialischer, so<br />
empfand sie es zumindest, was vielleicht aber auch daran lag, daß sie sechs Jahre keinen Fuß mehr in<br />
dieses Rattenloch gesetzt hatte. Einige kleine Gestalten huschten um eine Ecke - ja, an die Zeit, als sie<br />
noch genauso wie diese Kinder hier in der Südstadt auf der Straße gelebt hatte, daran konnte sie sich<br />
noch gut erinnern. Bei diesem Gedanken fiel ihr auf, daß ihre Kleidung für diesen Teil der Stadt ein<br />
wenig unpassend erscheinen mochte, aber das war ihr jetzt erst mal egal, schließlich war sie hier im<br />
Rattenloch aufgewachsen, also würde sie auch hier hindurch reiten, und außerdem hatte sie die<br />
arroganten Oberstädter noch nie gut genug ausstehen können, um freiwillig durch die Oberstadt zu<br />
flanieren; zumal, es hätte von dort aus sogar noch Brückenzoll gekostet, ihr Ziel zu erreichen, und<br />
wenn sie auch in der Lage gewesen wäre, diesen zu entrichten, so wäre sie sicherlich nicht dazu bereit<br />
gewesen. Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als plötzlich eine kleine, rothaarige Gestalt<br />
direkt vor ihr aus einer Seitengasse geschossen kam und auf der anderen Seite wieder im 'Dickicht'<br />
des Rattenloches verschwand. Und schon konnte sie die offensichtliche Ursache für dieses hohe<br />
Tempo hören: „Halt! Diebe!“ tönte es aus der Seitengasse, und ein korpulenter, glatzköpfiger<br />
Oberstädter stolperte heran. Es hatte sich also wirklich nichts geändert... die junge Frau überlegte<br />
einen Moment, blickte dann auf den Boden zu den Füßen des Oberstädters, der gerade die Straße<br />
erreicht hatte, und blinzelte. Der Oberstädter fiel sowohl unfreiwillig als auch nicht gerade elegant auf<br />
die Nase. Als er sich wieder aufgerappelt hatte, wandte er sich an sie: „Habt ihr ein kleines, freches<br />
Gör mit meiner Geldbörse hier entlang laufen sehen?“ „Hier entlang?“ entgegnete die junge Frau,<br />
„Nein, hier ist niemand vorbeigekommen.“ Sie mußte sich schwer beherrschen, nicht zu grinsen. Es<br />
war wie in alten Zeiten.