Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler
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Erkenntnis - Thomas Peter Goergen<br />
„Ihr seid aufgewacht“, stellte eine weibliche Stimme vom Höhleneingang her fest. Lanungo warf<br />
einen fast gehetzten Blick dorthin... Die Frau in dem braunen Kleid, einen geflochtenen Korb im Arm,<br />
trat langsam näher. Das hereinfallende Abendlicht beleuchtete sie schräg von hinten, so daß ihr<br />
Gesicht im Schatten lag. Sie war schlank, ihr gekräuseltes Haar war rotbraun, nur kurz, da sie den<br />
Kopf wandte, leuchtete das Weiße in ihrem linken Auge auf. Jetzt betrachtete sie den Sammler.<br />
„Ihr seid zäh“, stellte sie ruhig fest. „Entweder sehr zäh oder Ihr habt keine Schmerzen mehr - was ich<br />
aber nicht glaube! Wißt Ihr, wer ich bin?“<br />
Der Sammler richtete sich im Sitzen auf. Er musterte sie kühl. Dann nickte er. „Sarjana“, sagte er,<br />
während er sich sorgsam die Einzelheiten ins Gedächtnis rief. „Fünfundzwanzig Jahre, verheiratet mit<br />
Larkur, Hauptmann der Garde. Heilerin. 'Katzenhexe', so nennt man Euch!“ Er lächelte spöttisch.<br />
„Angeklagt der Hexerei und freigesprochen im Zusammenhang mit...“<br />
Sarjana lachte laut auf. „Ihr seid tatsächlich einer der seltsamsten Menschen, die ich je behandelt<br />
habe. Aber es stimmt...“ Sie verstummte und dann sah sie lange schweigend auf den Atamanen nieder.<br />
Schließlich schüttelte sie den Kopf. „Niemals“, meinte sie schließlich. „hatte ich solche<br />
Schwierigkeiten, einem Verwundeten zu helfen. Es war wie - sonst war es - es wollte nicht gelingen...<br />
Es heilt nur sehr langsam, ich bedaure, nicht mehr für Euch tun zu können!“ Sie setzte den Korb ab<br />
und geschickt begann sie, die darin geborgenen Gräser und Kräuter mit einem Messerchen zu<br />
zerkleinern, um sie dann auf ein sauberes, weißes Linnen zu legen. Leise summte sie vor sich hin.<br />
Lanungo fühlte sich, abgesehen von seinem gesundheitlichen Zustand, überhaupt nicht wohl dabei. Es<br />
war ihm, als müßte er durch die Inanspruchnahme der Hilfe eines Baldsterblichen empfindlich an der<br />
beeindruckenden Fremdheit verlieren, die nicht nur die Würde eines Sammlers teils ausmachte,<br />
sondern die auch ein natürliche Schutz war: Vertrautheit mindert Ehrfurcht... Und wie arglos sie war,<br />
auch sich selbst gegenüber. Ob sie nicht spürte, daß ihre Heilkunst nicht allein aus dem üblichen<br />
Geschick, dafür auch aus zauberischen Quellen floß? Und jetzt stutzte sie - ha! bei einem Atamanai!<br />
Was hätte da auch der mächtigste Heilzauber gefruchtet...<br />
Sarjana schien sein Unwohlsein nicht zu bemerken, seine zweifelnden Blicke. Sie beendete gelassen<br />
ihre Arbeit. Dann kam sie mit dem Verbandstuch auf den Sammler zu. Jetzt sah sie aber, und es<br />
überraschte sie, wie der Mann zurückzuckte, leicht und fast unmerklich. „Haltet still“, sagte sie nur.<br />
„Ich muß den Verband wechseln!“<br />
Sie setzte sich neben Lanungo, löste den alten Wickel ab und legte flink den neuen um die Hüfte des<br />
Verletzten. Sie war nun doch eher unruhig. In der Tat, als er bewußtlos vor ihr gelegen hatte, war er<br />
nur ein Straßenopfer gewesen, das ihrer Hilfe bedurfte. Sie hatte verdrängt, wen sie da in ihre Obhut<br />
nahm. Jetzt aber, wo sein waches Auge auf ihr ruhte, sein Atem nicht mehr schlafend-gleichmäßig<br />
kam, da wurde ihr erst bewußt: das war ein Sammler. Das war der atamanische Sammler, von dem ihr<br />
Larkur erzählte hatte, daß er in der Stadt sei. Sie wußte nicht viel über die Atamanen - aber hieß es<br />
nicht, sie seien kalt, uralt und tödlich... „Sie töten ohne Achtung vor dem Getöteten“, dachte Sarjana,<br />
„sie 'sammeln'... aber was?“<br />
Aber gleich wieder schalt sie sich. Das war ein lebendes, denkendes Wesen. Seine Haut war warm, es<br />
atmete, es bewegte die Lippen, wenn sie ihm, während der Ohnmacht, Wasser darauf träufelte.<br />
Natürlich, einige Seltsamkeiten...<br />
„Wir hielten Euch zunächst für tot“, und mit diesen Worten vollendete sie ihr Werk, faltete die<br />
Hände, lächelte den unbewegten Sammler unsicher an. „Wir haben Euren Herzschlag nämlich nicht<br />
gehört... und Euer Blut war so - dick, schwarz - wir...“<br />
„Es fließt mehr als zweihundert mal so langsam wie Eures“, erwiderte der Atamane. „Und unser Herz<br />
schlägt sehr viel seltener als das Eure. Was ist geschehen?“<br />
Sarjana zögerte. „Ihr wurde überfallen“, antwortete sie endlich. „Ihr wurdet niedergeschlagen, dann<br />
bohrte man Euch eine lange Klinge in den Leib. Das“, und sie kramte in ihrer Schürze, „hieltet Ihr<br />
umklammert.“ Und sie reichte ihm einen kleinen, zerknüllten Zettel. Lanungo warf einen kurzen Blick<br />
darauf. Sein Gesicht verfinsterte sich schlagartig, daß die Heilerin erschrak. Ohne ein weiteres Wort<br />
zu sagen, schob er es mit unheilvoller Miene in eine Tasche seiner weiten, roten Hose. „Weiter!“<br />
„Bitte? Weiter?“<br />
„Ihr sagtet 'wir'. 'Wir hielten Euch...', 'Wir haben nicht gehört'...“ und beugte sich vor. „Ich will<br />
wissen, wer ist, außer Euch, Sarjana, 'wir'?“ Er klang gereizt.<br />
Sarjana erhob sich langsam, wie man sich bewegt, um ein gefährliches Tier nicht weiter zu reizen.<br />
„Das ist“, sagte sie leise, „eines der weiteres Dinge, die ich nicht verstehe...“ Und während sie<br />
beiseite trat, den Blick freigab, polterte es vom Eingang her, eine riesige, pelzbedeckte Gestalt schob