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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Der Ruf des Falken - Claudia Wamers * Jürgen Nilkens * Oliver Nothers * Robert Symons<br />

„Also, ich bin ja, wie ihr auch, vor sechs Jahren von <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> aufgebrochen, um praktisch ein<br />

neues Leben anzufangen. Da ich von der Hitze und dem daraus resultierenden Gestank während<br />

Frühling, Sommer und Herbst im wahrsten Sinne die Nase voll hatte, beschloß ich, meinen Schritt gen<br />

Norden zu lenken, wenn ich erst aus der Stadt ‘raus wäre. Ich verließ also <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> am Westende<br />

der Spalte und wandte mich in Richtung Hallakinisches Imperium. Eine alte Karte, die ich<br />

irgendwann während eines Ausflugs in die Oberstadt gefunden hatte, beschrieb dabei einen Weg, der<br />

zunächst nicht nach Norden, sondern nach Westen durch das Multorische Reich führte und der erst<br />

später einen Bogen zum Hallakinischen Imperium schlug. Ich beschloß, mich an diesen Pfad -<br />

offenbar eine uralte Handelsstraße - zu halten. Dabei ließ es sich leider nicht vermeiden, daß ich an<br />

diversen Schauplätzen des Krieges zwischen den Multoriern und den Rekschat vorbeikam.“ Dabei<br />

schaute sie Caerlissa an: „ Schade, daß wir uns da nicht begegnet sind! Na egal, weiter im Text...<br />

Auf einem solchen Schlachtfeld - offenbar einer kleineren, aber ziemlich heftigen Schlacht - fand ich<br />

einen älteren Multorischen Offizier, der noch lebte. Ich klaubte das Wissen, was Du, Mutter, uns allen<br />

ein wenig vermitteln konntest, zusammen und verpaßte dem Mann einen ganz passablen Feldverband.<br />

Danach schleppte ich ihn vom Schlachtfeld in den Wald. Zum Glück fand ich dort eine kleine, zu der<br />

Zeit unbewohnte Hütte. Dort pflegte ich den Fremden gesund - zum Glück entzündete die Wunde sich<br />

nicht, und er wurde auch sonst nicht fiebrig. Als er wieder gesund war und fragte, wie er es<br />

gutmachen könnte, daß ich ihn gerettet hätte, bat ich um Unterricht im bewaffneten Kampf. Wie ihr ja<br />

wahrscheinlich noch wißt, hat mich das Leben der Söldlinge und Reisigen immer fasziniert. Daß ich<br />

mit diesem Wunsch im übertragenen Sinn auf eine Goldader gestoßen war, konnte ich zu dem<br />

Zeitpunkt ja noch nicht wissen. Es stellte sich heraus, daß die Schlacht, wo er verwundet worden war,<br />

gar keine Schlacht im eigentlichen Sinne gewesen war. Er hatte vielmehr mit einem Trupp Rekruten<br />

eine Feldübung durchführen wollen. Dabei wurden sie von einem Rekschatkommando entdeckt und<br />

wortwörtlich abgeschlachtet. Die Tatsache, daß sich Vlad - so sein Name: Weibel Vlad Jugatin -<br />

ziemlich schuldig für den Tod seiner Schützlinge fühlte, gab mir die Gelegenheit, eine erstklassige<br />

Ausbildung im Schwertkampf zu erwerben. Er nahm mich bei sich zu Hause auf und unterrichtete<br />

mich im Kampf mit Dolch, Schwert und Lanze. Ich erhielt die wohl gründlichste militärische<br />

Ausbildung, die es je gegeben hat, denn ich war seine einzige Schülerin, und Unterricht war jeden<br />

Tag acht Stunden! Nach etwas mehr als einem Jahr trat Vlad mit mir zusammen vor eine Kommission<br />

der Multorischen Armee, und aufgrund meines Könnens wurden mir Fähigkeiten attestiert, die sonst<br />

einem Leutnant oder Hauptmann ausmachten. Mir wurde sogar eine Art „Offizierspatent ehrenhalber“<br />

verliehen. Wenn ihr es sehen wollt, ich hab’ es in meinen Satteltaschen.<br />

Danach zog es mich weiter in Richtung meines ursprünglichen Zieles. Ich verabschiedete mich also<br />

von Vlad - der mir zum Abschied übrigens dieses Schwert schenkte - und brach wieder in Richtung<br />

Imperium auf, diesmal direkt nach Norden.<br />

Nach zwei Jahren war es dann soweit: Ich überquerte die unsichtbare Grenze zum Hallakinischen<br />

Imperium. Nach vier Monaten Wanderschaft durchs Multorische Reich, 16 Monaten beim alten Vlad<br />

und weiteren vier Monaten Reise nach Norden hatte ich die kalten Steppen des Nordens erreicht. Es<br />

war herrlich! Der Frühlingswind wehte über das Land, das goldgelb im Steppengras vor mir lag.<br />

Weiter im Norden und Nordosten sah ich Wälder, im Nordwesten und Westen schien das Land eben<br />

zu bleiben. Ich entschloß mich, die Wälder anzusteuern und ging Richtung Nordosten. Die Luft war<br />

kristallklar und so rein, wie ich sie noch nie gerochen hatte. Sie roch trotz der relativen Kühle frisch<br />

und lebendig, ich kann es gar nicht beschreiben.<br />

An Nahrung fehlte es nicht, es gibt dort im Norden reichlich Hasen und Kaninchen und andere<br />

jagdbare Kleintiere, ebenso wie Beerensträucher, die teilweise sogar das ganze Jahr über blühen und<br />

Früchte tragen. Wasser gibt es auch genug, das Land ist durchdrungen von vielen kleinen Flüssen und<br />

Bachläufen, und das Wasser schmeckt so klar und frisch und gut wie die Luft riecht. Mir war, als<br />

wäre ich gerade neu geboren worden. Die Einsamkeit, die mich während der vier Monate vor und der<br />

vier Monate nach dem Aufenthalt bei Vlad stets begleitet hatte, war mir mehr als willkommen, und<br />

hier mochte ich frei sein wie der Wind. Ich wanderte ungefähr ein halbes Jahr lang durch die<br />

Nordländer, und sogar die Kälte, die mir in die Wangen biß, bereitete mir Freude - ich war lebendig<br />

wie lange nicht mehr!

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