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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Stiefkinder des Schöpfung I: Die vier Jahreszeiten - Marc Rösel<br />

Schweiß war. Ich ging zum Fenster, das offenstand und einen kühlen Luftzug ins Zimmer ließ, der die<br />

dunklen Vorhänge blähte. Ich beugte mich hinaus und atmete tief die frische Herbstluft, die den<br />

Geruch nach Regen und Nebel mit sich trug. Oder war es der Geruch nach Fäulnis und Verwesung?<br />

Nein!<br />

Unten auf der Straße meinte ich im Schatten der Häuser eine Gestalt auszumachen, die hinaufsah zu<br />

mir, aber nicht nur zu mir, sondern zu allen, die in dem Haus wohnten. Von irgendwoher wurde das<br />

Spiel einer Flöte an mein Ohr getragen, eine leise, einschmeichelnde Melodie, die mir die Glieder<br />

schwer werden ließ. Ich gähnte, und kaum noch glückte es mir, auch nur meine Augen aufzuhalten...<br />

Ich erwachte wieder, als mir die hellen Strahlen der Morgensonne durch die Lider stachen. Blinzelnd<br />

erhob ich mich von den Teppichen unter dem immer noch offenen Fenster, vor dem ich eingeschlafen<br />

war. Diesmal war mein Schlaf tief und traumlos gewesen, und doch fühlte ich mich erschöpft und wie<br />

ausgelaugt. Die dunkle Ahnung stahl sich in mein Bewußtsein, daß letzte Nacht irgendetwas passiert<br />

war. Etwas entsetzliches.<br />

Rasch kleidete ich mich an, nachdem ich mich nur notdürftig gewaschen hatte, und war gerade dabei,<br />

meine Haare hochzustecken, da vernahm ich einen lauten Schreckensruf aus dem Treppenhaus.<br />

Sogleich beeilte ich mich, meinen Rapier zu entblößen und durch die Tür nach draußen zu stürmen,<br />

die Ursache des Schreies zu ergründen. Ich war noch barfuß, und mein Haar hing mir wirr ins Gesicht.<br />

Es war die Hausdame, die so geschrien hatte und damit nicht nur mich alarmiert, sondern auch - so<br />

schien es - alle anderen Bewohner der Pension. Ich sah Dimitri und meine beiden Freundinnen aus<br />

dem Stock über mir, die gemeinsam mit mir die Stufen nach unten eilten, wobei wir einen<br />

Treppenabsatz passierten, wo der Boden und die Wand mit getrocknetem Blut verschmiert waren-<br />

.Mistress Yatzikenia beugte sich am Fuß der Treppe über den Körper eines Mannes, der in<br />

verkrümmter Haltung dalag; das Geländer über ihm war durchbrochen, und er war scheinbar in die<br />

Tiefe gestürzt, drei Stockwerke tief. Eine in den Boden eingetrocknete Blutlache umgab ihn.<br />

Mistress Yatzikenia hob ihr schreckensbleiches Gesicht. „Es ist Penhaligon! Aber er lebt, obwohl er<br />

viel Blut verloren hat.“<br />

Eolyn kniete sich neben ihn und befühlte seinen Körper. Sein Rückgrat schien gebrochen, und eine<br />

tiefe Wunde wie von der Klaue einer Raubkatze - oder eines Dämons...- zog sich über seinen<br />

Brustkorb, hatte allerdings aufgehört zu bluten. Die Heilerin legte ihre Hände auf seine Rücken und<br />

seine Brust und ließ ihre Kraft durch seinen geschundenen Körper strömen. Als sie sich erhob,<br />

taumelte sie, und Shivistri mußte sie stützen. Sie wirkte erschöpft, doch in noch größerem Maße von<br />

Trauer erfüllt.<br />

„Seine körperlichen Verletzungen kann ich heilen,“ sagte sie leise. „Nicht aber die Wunden in seinem<br />

Geist.“<br />

Wir sahen sie alle fragend an.<br />

„Wer ihm das angetan hat, hat nicht nur sein Fleisch getroffen. Der eigentliche Angriff galt seinem<br />

Geist. Seiner Seele. Die Wunden sind nur ein Nebeneffekt.“<br />

„Was willst du uns damit sagen, Eolyn?“ fragte ich, obwohl ich die Antwort zu kennen glaubte.<br />

„Irgendetwas in Penhaligon ist... zerbrochen. Sein Geist ist nur noch eine Ruine. Ich weiß nicht, ob er<br />

daran sterben wird, vielleicht. Aber auch wenn seine fleischliche Hülle überlebt, er ist zerstört.“<br />

Mir wurde kalt, nicht nur wegen der kühlen Dielen unter meinen nackten Fußsohlen, und ein rascher<br />

Rundumblick zeigte mir, daß es den übrigen nicht anders erging.<br />

„Was ist hier vorgefallen?“ fragte die Hauswirtin hilflos.<br />

Wir alle konnten ihren ratlosen Blick nur erwidern.<br />

„Es ging nicht um den alten Mann. Er stand nur im Weg.“<br />

Die Stimme kam von einer Frau, die auf dem Treppenabsatz des fünften Stockwerkes stand und sich<br />

weit über das Geländer beugte, wobei ihre unanständig großen und zu allem Überfluß auch noch<br />

nackten Brüste auf höchst obszöne Art und Weise hin und her baumelten und gegeneinander<br />

schlugen. Sie war nackt bis auf ihr fließendes tizianrotes Haar und reichlich Goldschmuck und<br />

benahm sich doch völlig unbefangen, ungeachtet ihrer Blöße, was bei einer Kreatur ihrer Art jedoch<br />

auch nicht weiter verwundern mag.<br />

Mein Blick streifte Dimitri, allerdings hatte er in der letzten Zeit einiges von seiner Strenge eingebüßt,<br />

und so zeigte sich der leichtfertige Geselle auch nicht weiter beeindruckt.<br />

„Sie war heute nacht bei mir,“ sagte er schlicht. So, als wäre das das Natürlichste auf der Welt!<br />

Während das liederliche Geschöpf nachdenklich seine eigenen übergroßen Brüste knetete, erläuterte<br />

es wie beiläufig: „Ich nehme an, Penhaligon hat versucht, den Eindringling aufzuhalten. Ziel des

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