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Elek-Mantow: Zyklus 3 - André Wiesler

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Schattenfuchs und Schleiertanz - Christel Scheja<br />

runzelte sie die Stirn und strich ihr pastellgrünes fließendes Gewand zurecht, dann setzte sie sich<br />

wieder und beugte sich über die unvollendete Arbeit. Gedankenverloren griff sie nach der, im Tintenfäßchen<br />

stehenden Feder und malte weiter bildhafte Symbole von links nach rechts, überlegte eine<br />

Weile und setzte ihre Berechnung fort. Erst als sich die Tür einen Spalt öffnete, sah sie hoch.<br />

„Was ist?“ fragte sie mit ruhiger Stimme.<br />

„Herrin Ailanth, Ashline und Mikari bitten darum, heute früher gehen zu dürfen. Sie wollen ihren<br />

Familien helfen, und unten auf dem Markt spielen schon einige Musikanten auf. Sie freuen sich auf<br />

den Tanz, glaube ich“, erwiderte die Magd, die nun eintrat und den Kopf senkte. Ihre rechte<br />

Gesichtshälfte bedeckte eine emaillierte Maske, die nur bei genauerem Hinsehen als solche zu<br />

erkennen war. Ailanth nickte freundlich und winkte das Mädchen näher. Sie hatte dem Mädchen diese<br />

gefertigt, um die darunterliegenden Entstellungen - die zerfurchten Narben, die ihr betrunkene<br />

Männer zugefügt hatten, zu verbergen. „Sie haben die Erlaubnis zu gehen, Jamiriel. Und was ist mit<br />

dir?“<br />

„Ich?“ Die Magd wirkte erstaunt und verlegen , dann schüttelte sie den Kopf. „Die anderen werden<br />

mich verspotten. Die Gaukler sind doch die schlimmsten von allen spitzzüngigen Rashquiat!“<br />

wisperte sie haßerfüllt.<br />

„Gaukler sind in der Stadt“, grübelte Ailanth selbstvergessen, so als habe sie die letzten Worte nicht<br />

genau mitgekommen. „Ja natürlich. - Aber ich stelle es dir frei. Du kannst an diesem Abend tun und<br />

lassen, was du willst.“<br />

„Ich werde mich um Rhysian, eure Tochter, kümmern! Die Kleine treibt sich immer öfter auf den<br />

Straßen herum, so als habe sie Freude unter den Straßenkindern gefunden...“ sagte die Magd und<br />

verstummte, als ihre Herrin wieder nicht zuhörte. „Herrin Ailanth, habt ihr Sorgen?“<br />

Ailanth schüttelte zerstreut den Kopf. „Nein. Heute jährt sich nur ein trauriger Tag. Ich ...“ Sie sah die<br />

Frau an und ihre Augen blitzten purpurn, ein Zeichen, daß sie erregt war. „Bitte laß mich jetzt allein.“<br />

Jamiriel, die die Launen ihrer Herrin kannte, gehorchte schnell, und schloß die Tür hinter sich.<br />

Schon im nächsten Augenblick flog das Tintenfäßchen zu Boden und verteilte seinen Inhalt auf den<br />

Holzbohlen. Ailanth war aufgesprungen und hatte die Hände vor der Brust zu Fäusten geballt. Ihre<br />

Augen glühen in rotviolettem Licht. Schmerz und Wut vermischten sich in ihrem Gesicht zu einer<br />

Maske des Hasses und Zorns. Dann löste sie hastig die Bänder die ihre weißsilbernen Haare hielten<br />

und fuhr sich durch die langen Strähnen. Ihre Brust bewegte sich heftig.<br />

„Neun Jahre sind vergangen. Neun Jahre trauere ich um ihn, und noch immer sehe ich ihn in seinem<br />

Blut vor mir liegen.“ keuchte sie. „Damals hast du alles zerstört - alles was uns verband ...“ Ihre<br />

Stimme sank zu einem Wispern herab. „Ich sehe Mirthanh noch vor mir liegen, mit durchschnittener<br />

Kehle und gebrochenen Augen. Fast hätte ich das Kind verloren, das ich damals in mir trug. Oh, du<br />

hättest mir am liebsten auch noch das genommen.“ Dann schrie sie: „Warum hat dein Haß alles<br />

zerstört?“<br />

���<br />

Nur einen Tag vor der Triumviratswahl in <strong>Elek</strong>-<strong>Mantow</strong> brodelte das Leben im Rattenloch. Im<br />

unteren Teil der Stadt, auf den Plätzen, in den Schenken und Tavernen herrschte Lärm: Der<br />

Trommelklang eines wilden Tanzes vermischte sich mit dem Gekreisch von jungen Mädchen und<br />

Männern oder brüllenden Lachen. Sänger versuchten gegen das Stimmengewirr anzukommen,<br />

während Gaukler lauthals ihre Attraktionen anpriesen. Auch jetzt, kurz vor dem Fest, daß die oberen<br />

ausrichteten, versuchten die Zugereisten ihr Geschäft zu machen, und die Menschen nahmen es<br />

dankbar an. In der Schwüle der Nacht konnten ohnehin die wenigsten schlafen.<br />

Doch nicht überall im Rattenloch ging es so zu. Gerade am Rande der Schlucht, aus der wabernd<br />

Nebel aufstieg, herrschte fast schon beklemmende Leere und Stille.<br />

Das Mädchen in der Verkleidung eines Jünglings duckte sich in den Schatten des Hesvite-Tempels<br />

und beobachtete im Licht der Monde das beleuchtete obere Stockwerk des Hauses gegenüber. „Du<br />

konntest es nicht lassen, seine Zeichen aufzumalen“, stieß sie hervor und spuckte zu Boden. Bei ihrem<br />

ersten Versuch hatte sie die Malereien an der Hauswand gut erkennen können - leider auch einige<br />

Stadtwachen sie. Die junge Frau schnaubte. die Verfolgungsjagd hatte sie kostbare Zeit gekostet, Zeit<br />

in der ihre Mutter sie vielleicht schon gespürt hatte - denn der Zeiger der Sonnenuhr im Garten war<br />

ihr verdächtig genug vorgekommen. Die Männer suchten sie jetzt bestimmt schon in anderen Teilen<br />

des Rattenlochs - oder was wahrscheinlicher war - sie hatten sich anderen Aufgaben zugewandt.

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