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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Am Beginn meiner Untersuchung steht der Befund, dass das gegenwärtige<br />

Bild der Arbeiterbewegung im kollektiven Gedächtnis nur einen<br />

verzerrten Ausschnitt von deren Rolle und Bedeutung im 20. Jahrhundert<br />

liefert. Besonders dasjenige, was Trägerin einer umfassenden emanzipatorischen<br />

Erwartung war und in meiner Terminologie »kommunistisches Begehren«<br />

heißt, ist praktisch vollständig absent.<br />

Es stellt sich daher die Frage, wo die Gründe für die verzerrte Präsenz liegen?<br />

Zum Zweck der Darstellung kann schematisierend konstatiert werden,<br />

dass die Erinnerungskultur in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

von zwei aufeinanderfolgenden Dispositiven gekennzeichnet war.<br />

Zunächst war die Erinnerungskultur durch die Logik der Systemkonkurrenz<br />

bestimmt und die Präsenz und Tradierung des kommunistischen<br />

Begehrens dadurch weitgehend blockiert. Da die binäre Struktur der Machtblöcke<br />

den individuellen Erinnerungen eindeutige normative Zuschreibungen<br />

verpasste und sie durch die Pole Freund und Feind unter jeweils gegensätzlicher<br />

Vorzeichensetzung markiert wurden, war für eine politische<br />

Lebensgeschichte, die sich diesem Schema nicht fügte, kein Platz.<br />

Den gemeinsamen Bezugspunkt der konkurrierenden Erinnerungskulturen<br />

bildete der antifaschistische Kampf und daraus folgend der Anspruch,<br />

dessen legitime Erbfolge anzutreten. Bezogen auf die Erinnerungsdiskurse<br />

im geteilten Deutschland bedeutete dies: Im Westen wandelte sich der Antifaschismus<br />

in Antitotalitarismus, was einerseits eine enorme Entlastung von<br />

der Aufarbeitung der eigenen politischen Vergangenheit leistete und dabei<br />

unterstützte, den Feind auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs zu verorten.<br />

Auf der anderen Seite: im Osten verknüpfte sich das Engagement für<br />

den sozialistischen Aufbau mit dem Anspruch, die einzige Garantie gegen<br />

die Wiederholung des Faschismus zu vertreten. Die Erinnerungen hatten<br />

sich hier der antifaschistischen Staatsdoktrin zu fügen. Demensprechend<br />

galten die autobiografischen Erinnerungen ehemaliger Kommunist_innen<br />

entweder als Zeugnisse von Menschen, die sich vom falschen Glauben befreien<br />

konnten, oder als Renegatenliteratur.<br />

Das jeweilige Master Narrative bezog seine erinnerungsintegrative Kraft<br />

aus der zeitlichen Nähe zum Ereignis des Faschismus, das das gemeinsame<br />

erinnerungskulturelle Dispositiv begründete: Dadurch erschien es so, dass<br />

der ehemalige Feind nun nach dem Sieg über den Faschismus jeweils auf der<br />

anderen Seite in neuer Form wiederauferstanden war. Auf der einen Seite in<br />

Form des sozialistischen Einparteienstaats als totalitarismustheoretisch begründetes<br />

Pendant zum faschistischen Staat; auf der anderen Seite als Restauration<br />

des Staatsapparates mit starker personeller Kontinuität vom nationalsozialistisch<br />

gleichgeschalteten Staat zur BRD. Wenngleich nicht völlig<br />

unmöglich, war es dennoch sehr schwierig, die individuelle Erfahrung mit<br />

der kommunistischen Bewegung zu artikulieren, die sich der Integration in<br />

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