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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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verfahren lässt einen anderen Begriff hervortreten, der sich an der Proklamation<br />

von 1934 durch Nikolai Bucharin 30 und an jenem von Georg Lukács<br />

orientiert: Sozialistischer Realismus fordere, wie sonst nur die Klassik, die<br />

Identität von Wahrheit, Schönheit und Tiefe. Da diese Ästhetik von Philosophen<br />

und Politikern erfunden worden sei, 31 trügen Politik und Philosophie<br />

Verantwortung und hätte das Politbüro der SED, als Institution des gegenwärtig<br />

höchsten gesellschaftlichen Bewusstseins, der Ästhetik die philosophischen<br />

Prämissen zu setzen. 32 Die Erfolglosigkeit vergangener Kulturpolitik<br />

zeige sich am schmerzlichsten im Ausbleiben des Schriftstellernachwuchses<br />

sowohl nach dem 11. Plenum von 1965 als auch nach dem VIII. Parteitag von<br />

1971. Einer Verhinderung von Kunst durch eine repressive oder liberalistische<br />

Kunstpolitik sei durch Verstetigen eines Übergangszustandes zu begegnen<br />

– das »eingefrorene Tauwetter« 33 . Partei und Regierung sollten ihren philosophischen<br />

Standpunkt bekunden, hätten aber diese Ebene nicht zu<br />

verlassen und nicht in die poetische Praxis einzugreifen. Ein Beispiel für Entschiedenheit<br />

auf der theoretischen und Zurückhaltung auf der praktischen<br />

Seite sei der gerade erschienene Artikel Hans Kochs.<br />

Hacks baut bei dieser Gelegenheit die alten Rezepte in für ihn akzeptable<br />

ästhetische Kategorien um: statt »positiver Held« – »initiatorischer Held«;<br />

statt »kollektiver Schaffensprozeß« – »apriorische Kollektivität«; statt »Perspektive«<br />

– »Dialektik zwischen Realität und Ideal« sowie »historische Einordnung<br />

in den Weltverlauf«; statt »Verständlichkeit« – »ein Publikum [...]<br />

intendieren«; statt »Volkstümlichkeit« – »hohe Volkstümlichkeit«; statt »Primat<br />

der Fabel« – »Wechselwirkung zwischen Handeln und Charakter«; statt<br />

»das Typische« – »das jeweilige Versteck des Wesens [auffinden]«; statt »Antiformalismus«<br />

– »Forderung nach Form«; statt »Optimismus« – »subjektive<br />

Verzweiflung [nicht] als ein Weltgesetz [hinstellen]«; statt »Parteilichkeit« –<br />

»Verantwortung für außerästhetische Wirkung« 34 . Gültig bleiben sollen unverändert<br />

die »Forderung nach dem Epochenwerk« und die »Aufhebung<br />

30 Dieser führte aus: »Wir müssen zu einer großen Literatur, zu einer gewaltigen Literatur, zu einer durch ihren<br />

Inhalt machtvollen Literatur gelangen. Zu einer wirkenden Literatur, zu einer Literatur, die auch durch ihre<br />

Meisterschaft als ein hoher Berggrat in der Geschichte der Menschheit und der Geschichte in der Kunst<br />

ragen wird!« – Nikolai Bucharin: Referat über Dichtung, Poetik und die Aufgaben des dichterischen Schaffens<br />

in der UdSSR. In: Schmitt; Schramm 1974 (s. Anm. 8), S. 345.<br />

31 Den Begriff zog Stalin im Mai 1932 kurz nach dem ZK-Beschluss über die Auflösung der RAPP den alternativ<br />

vorgeschlagenen Begriffen proletarischer und kommunistischer Realismus vor, als der von der RAPP geprägte<br />

Begriff der dialektisch-materialistischen Methode ersetzt werden sollte. – Vgl. Hans Günther: Die<br />

Verstaatlichung der Literatur, Stuttgart 1984, S. 11 f.<br />

32 »Wir wissen auch alle, was eine Politik ist. Aber die einzigen Menschen, die noch versuchen, das zusammenzubringen,<br />

das ist diese Partei und ihre Chefs und ihre Denker. Ob sie klug sind oder nicht klug sind,<br />

das ist nicht die Frage; ob sie tief oder nicht tief sind, das ist nicht die Frage. Sie sind die einzigen. Und deswegen<br />

sage ich: Die Partei steht bei mir für das Wort Philosophie, weil das sich so verhält, daß wir nichts<br />

Besseres anzubieten haben.« – Keck; Mehrle 2010 (s. Anm. 5), S. 227.<br />

33 Ebd., S. 172.<br />

34 Ebd., S. 168 f.<br />

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