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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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edürfen des Konsensus. Die poststrukturalistische Kritik an deliberativen<br />

Demokratienentwürfen 25 beziehungsweise die Erkenntnis, dass in allen gesellschaftlichen<br />

Aushandlungsprozessen keineswegs nur Sachverstand und<br />

das rational beste Argument konkurrieren, sondern direkt und indirekt Interessen,<br />

Affekte und Machtasymmetrien wirken, gilt selbstverständlich<br />

auch für indigene Gruppen. Weder die relative materielle Gleichheit noch<br />

das Konsensprinzip sind ausreichende Garanten dafür, dass der Prozess der<br />

kommunikativen Aushandlung machtfrei abläuft. 26<br />

Im Gegensatz zur liberalen Demokratie existiert in indigenen Kontexten<br />

keine Professionalisierung der politischen Interessenvertretung. Die Übernahme<br />

von Funktionen gleicht einer hierarchischen Stufenleiter und bedeutet<br />

vor allem soziales Prestige. In erster Linie wird die Übernahme von Ämtern<br />

jedoch als Pflicht beziehungsweise Dienst an der Gemeinschaft verstanden<br />

und ist nicht an bestimmte Fähigkeiten oder besondere Sachkenntnisse,<br />

wohl aber an Alter und Erfahrung gebunden. Neben dem Rotationsprinzip<br />

gilt das imperative Mandat. Handelt jemand gegen die von der Basis getroffenen<br />

Entscheidungen, besteht jederzeit die Möglichkeit der Abberufung.<br />

Die zeitaufwendige und über die Verpflichtung zur Ausrichtung ritueller<br />

Akte und Festlichkeiten auch kostenintensive Amtsübernahme wird zudem<br />

nicht entlohnt. 27<br />

Weitere Elemente, die liberal-demokratischen Vorstellungen nicht entsprechen,<br />

sind der oft bestehende Zwang zur Teilnahme an Versammlungen,<br />

Gemeinschaftsarbeiten, an Protesten und an deren Finanzierung, der soziale<br />

Druck, Ämter zu übernehmen, das Fehlen von Rechtsgarantien für Minderheiten<br />

wie beispielsweise Homosexuelle oder die Alternativlosigkeit der<br />

heterosexuellen Eheschließung, will man als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft<br />

anerkannt werden. Von zentraler Bedeutung sind zudem die religiös-rituellen<br />

Aufgaben, die indigene Autoritäten übernehmen, Funktionen,<br />

die im säkularisierten westlichen Demokratieverständnis gänzlich fehlen.<br />

Indigene Führungspersonen, die ihre Gemeinschaften nach außen vertreten<br />

beziehungsweise formale politische Funktionen übernehmen, werden<br />

zwangsläufig mit modern-westlichen Verbands-, Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen<br />

konfrontiert. Das erzeugt Konflikte und Widersprüche.<br />

Denn erwartet wird in der Regel eine Politik im direkten Interesse<br />

25 Vgl. Chantal Mouffe: Das demokratische Paradox, Wien 2008.<br />

26 Das lässt sich – keineswegs nur in indigenen Kontexten – unter anderem sehr gut am Beispiel geschlechtlicher<br />

Diskriminierung, Benachteiligung und Ausgrenzung verdeutlichen. – Vgl. u. a. Marisol de la Cadena:<br />

Women are more Indian:. ethnicity and gender in a community near Cuzco. In: Larson Brooke; Olivia Harris;<br />

Enrique Tandeter (Hrsg): Ethnicity, markets, and migration in the Andes. At the crossroads of history and<br />

anthropology, Durham, N.C., London 1995, S. 329-348, sowie I. S. R. Pape: This Is Not a Meeting for Women.<br />

The Sociocultural Dynamics of Rural Women’s. Political Participation in the Bolivian Andes. In: Latin American<br />

Perspectives, Jg. 35, Nr. 6, 2008, S. 41-62.<br />

27 Das heißt, man muss sich diese Zeit im Dienste der Gemeinschaft auch leisten können bzw. darauf sparen,<br />

da man ein Jahr kaum aktiv zum Familieneinkommen beitragen kann und zusätzliche Ausgaben hat.<br />

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