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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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• Es besteht die Pflicht zum kollektiven familialen Krisenmanagement inklusive<br />

der Verhinderung öffentlicher Exposition. Im Fall einer eigenen Krise<br />

beinhaltet dies den Rückzug aus dem potenziell bloßstellenden außerfamiliären<br />

in ein fürsorgliches innerfamiliäres Umfeld. Im Fall der Krise eines anderen<br />

Mitglieds beinhaltet dies die Notwendigkeit familialer Solidarität<br />

sowie eine primäre Verantwortung zur Bewältigung der Krise, die bei der<br />

Herkunftsfamilie liegt.<br />

Das BRCA-Testresultat verstärkt die Verstrickung und Erstarrung des<br />

Familiensystems SSB, indem es durch die Verbreiterung der familialen Aufmerksamkeit<br />

auf mehrere Personen bei gleichbleibend hohen Anforderungen<br />

an das Gesundheitshandeln und die rollenförmige Funktionsaufteilung<br />

(beispielsweise als durchhaltende Gesundheitsikone) den Druck zum gesundheits-<br />

und damit familienkonformen Verhalten im Sinne des ›einen verantwortungsvollen<br />

und gesunden Familienkörpers‹ erhöht. In der damit<br />

präventiv-funktional zu nennenden Familie SSB existiert folglich eine starke<br />

Forderung nach Familien-Compliance. Zugleich wird dies mit real erlebter<br />

Unterstützung kombiniert, was die Bewertung der gesteigerten familialen<br />

Deutungsmacht und ›Vereinnahmung‹ und einen möglichen Widerstand dagegen<br />

sehr ambivalent machen muss. Die Individuation und Selbstbestimmung<br />

der Einzelnen wird dadurch extrem erschwert, was besonders in der<br />

Unausweichlichkeit des BRCA-Tests sowie der nachfolgenden Aktivität des<br />

›Vorsorge-Ausflugs‹ deutlich wird. Dies dürfte den oben genannten Trend<br />

zur Nutzung von familieninternen ›Pufferzonen‹ anstelle einer Abnabelung<br />

von der Familie stärken und sichert zugleich den Fortbestand der BRCA-positiven<br />

Familie. Die Kontextualisierung bedeutet in diesem Fall folglich ein<br />

›Mehr desselben‹ im Sinne einer Fortsetzung der spezifischen Umgangsweisen<br />

mit und Wahrnehmungsweisen von Krebs, die auf den Erhalt der Familie<br />

ausgerichtet sind. BRCA und Krebs werden so zu familialen Synonymen.<br />

Lisas genetisch verschärftes Drama der Adoleszenz<br />

Für Lisa ist der familiäre Krebs, schon seit sie sich entsinnen kann, Teil der<br />

Familie. Als einziges und ersehntes Mädchen wird sie darüber hinaus schon<br />

früh von ihrer Mutter Lydia in deren Körperstrategien (wie beispielsweise<br />

Diäten) einbezogen und in eine Art ›Weiblichkeitswettbewerb‹ verstrickt.<br />

Dies führt zur Entwicklung eines ambivalenten und häufig von Konkurrenz<br />

geprägten Verhältnisses zu Lydia, das bis heute anhält. In der Pubertät entwickelt<br />

Lisas Körper eine »Mordsbusen«-artige Brust, die sie als unnormal<br />

empfindet und durch die sie in die ›Krebstraditionslinie‹ eingereiht wird.<br />

Mit 14 Jahren durchlebt Lisa schließlich eine halbjährige Periode der Magersucht,<br />

während der sie sich mit ihrer Cousine ein ›Abnahmeduell‹ liefert.<br />

Hierin drückt sich das von ihr entwickelte ›Körper-Optimierungsprojekt‹<br />

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