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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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dingte Vernichtung einer bisherigen materiell bedingten Daseinsweise der<br />

Individuen, mit welcher zugleich jener Gegensatz samt seiner Einheit verschwindet«<br />

31 .<br />

Einerseits hat dem soeben rekonstruierten Marx’schen Moralverständnis<br />

zufolge jedes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft das genuine Interesse<br />

an Rücksicht. Die Zurückstellung der eigenen Interessen zugunsten derer<br />

der anderen ist als moralischer Maßstab im Bewusstsein der bürgerlichen Individuen<br />

mit Notwendigkeit präsent. Dieses Interesse an Rücksicht kommt<br />

jedoch nur auf, weil man das gemeinsame Interesse, eine Einigung mit dem<br />

Handelspartner zu erzielen, bloß fasst, da man in diesem so zustande gekommenen<br />

Verhältnis das eigene materielle Interesse auf Kosten des anderen<br />

durchsetzen will. Dieser Gegensatz wird durch die Moral als die Überhöhung<br />

von Rücksicht in ein jenseits der Interessen stehendes gutes Prinzip<br />

nicht relativiert, sondern durch sie ergänzt. Insofern kann Marx schreiben,<br />

dass der Gegensatz von Altruismus und Egoismus nur scheinbar ist, da er<br />

keine praktische Gültigkeit besitzt. Der ideelle Altruismus ist eine den praktischen<br />

Egoismus ergänzende Geisteshaltung. Aus diesem Grund schätzt<br />

Marx auch die verändernde Kraft eines moralischen Prinzips als »ohnmächtiges<br />

Moralgebot« 32 ein, das nicht in der Lage ist, die soziale Realität zu verändern.<br />

So ist damit der materielle Interessensgegensatz nicht relativiert, sondern<br />

wird stattdessen um eine neue Betrachtungsweise ergänzt: Die antagonistischen<br />

Interessen werden unter dem höheren Gesichtspunkt der Rücksicht<br />

betrachtet. Für die grundlegendste Bedingung der eigenen Interessensverfolgung,<br />

den Austausch der Waren, wird der Rücksicht eine höhere Bedeutung<br />

zugesprochen. Die eigenen Interessen zurückzustellen, bekommt eine positive<br />

Wertung, und die eigenen Interessen ohne Rücksicht auf andere zu verfolgen,<br />

wird negativ betrachtet. Wenn diese Rücksicht geübt wird, dann ist<br />

die essentielle Bedingung jedes kapitalistischen Akteurs erfüllt, dass bürgerliche<br />

Beziehungen überhaupt eingegangen werden können.<br />

Moral als der höhere Wert des Altruismus existiert somit als gemeinsames<br />

Interesse aller kapitalistischen Akteure, deren Handeln zugleich stets vom<br />

praktisch egoistischen Privatinteresse geleitet ist. Moral existiert somit<br />

zunächst einmal als Forderung, dass Rücksicht geübt werden soll. In dieser<br />

Forderung ist jedoch auch die Vorstellung eingeschlossen, dass der kapitalistische<br />

Gegensatz durch gegenseitige Rücksicht zu transzendieren sei. In dieser<br />

Vorstellung fällt der Gegensatz in die Entscheidungshoheit der Individuen<br />

und wird verharmlost. Demzufolge sei Moral ideologisch.<br />

31 Ebd.<br />

32 Ebd., S. 238.<br />

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