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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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schwerpunkte als unpolitisch wahr, zum anderen erfahren sie die Verteilung<br />

und Annahme als fakultatives Verhältnis.<br />

Literarische Lenkungsprozesse im Handlungssystem KJL der BRD<br />

Eines der aus den Interviews gewonnenen Leitthemen der sechs AutorInnen<br />

umfasst die literarische Lenkung innerhalb des Handlungssystems KJL der<br />

BRD. Allgemeine literarische Lenkungsprozesse können hier in direkte (zum<br />

Beispiel in Form konkreter Texteingriffe) und indirekte (zum Beispiel in Form<br />

thematischer Verlagspräferenzen) Lenkungsprozesse differenziert werden.<br />

Die LiteratInnen betrachten diese als grundsätzlich vergleichbar mit dem bestehenden<br />

Zensursystem der DDR – und partiell als stärker restriktiv. Denn<br />

verschwunden sind nun die noch in der DDR bestehenden Möglichkeiten des<br />

Aushandelns literarischer Konflikte. Gegenwärtig sehen sie sich in ein merkantiles<br />

Interaktionsfeld integriert, das Anpassung verlangt bzw., bei verweigerter<br />

Anpassung, eine gelungene Systemintegration ausschließt. Desgleichen<br />

verweist Katrin Pieper, die nach 1989/1990 weiterhin als Lektorin tätig ist, auf<br />

das veränderte Verhältnis zwischen Verlag und AutorInnen: »Es hört sich alles<br />

individueller an, aber letztendlich hat jeder Verlag sein Profil und will die Autoren<br />

genau in den Kasten reinkriegen, wo sie hingehören, wenn sie ein Buch<br />

schreiben. Und da höre ich dann auch mit Entsetzen, dass die Lektoren dort<br />

sagen: Ach das gefällt uns nicht, schreiben sie das mal um. Diese Formulierung<br />

war vor der Wende im Kinderbuchverlag undenkbar. Ich hätte nicht<br />

sagen können, es gefällt mir nicht, [...] mal abgesehen jetzt von Qualität.« 17<br />

Eine signifikante Erfahrung der AutorInnen bezieht sich auf die allgemeine<br />

Verlagskritik an DDR-typischen Begriffen (zum Beispiel Konsum,<br />

Pioniergruppe) in neuverlegten Kinder- und Jugendbüchern, mit der eine<br />

Substitution oder Streichung einschlägiger Termini einhergeht. Dass jene<br />

Textänderungen nicht nur auf der Intention beruhen, das Leseverständnis<br />

kindlicher RezipientInnen erleichtern zu wollen, sondern auch auf den vermeintlich<br />

ideologischen Bezugsrahmen zielen, macht Christa Kozˇik bereits<br />

an einer in den 1980er Jahren bestehenden Möglichkeit der Lizenzveröffentlichung<br />

ihres phantastischen Kinderbuchs Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart<br />

(1983) deutlich. Unter anderem wird Kozˇik dazu angehalten, die Figur<br />

des DDR-Kosmonauten Sigmund Jähn durch den amerikanischen Astronauten<br />

Neil Armstrong zu ersetzen. Analog fällt die Namensgebung »Rotes Rathaus«<br />

aufgrund des angeblich politischen Ursprungs – der faktisch historisch<br />

begründet ist – entsprechenden Beschränkungsmaßnahmen zum Opfer, die<br />

Kozˇik als »Bevormundung« und »arrogante Überheblichkeit« 18 deklariert.<br />

Die Vertragsverhandlungen brechen daraufhin ab.<br />

17 Ebd.<br />

18 Kozˇik; Becker 2007 (s. Anm. 12).<br />

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