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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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geben. Die Gefahr der Retraumatisierung ist sehr groß. Die Wunden können<br />

so nicht heilen. Die Frauen zahlen einen hohen Preis dafür, dass sie Aussagen<br />

machen, und was bekommen sie dafür zurück? Natürlich verlangen die<br />

Frauen eine Justiz, die Vergewaltigung verurteilt, aber sie verlangen mehr<br />

als das. Sie fordern Entschädigung, sie wollen wieder ein menschenwürdiges<br />

Leben führen. Das wäre soziale Gerechtigkeit.« 19<br />

Die politische Anerkennung des Opferstatus manifestiert sich für die<br />

Überlebenden nicht in einer materiellen Entschädigung. Viele Überlebende<br />

sind sich zwar darin einig, dass Geld kein Unrecht heilen kann, Vergebung<br />

kann damit nicht gekauft werden, aber, so sagen sie auch, es ist das einzige<br />

Mittel, das ihnen Besserung versprechen kann. Der staatlich eingerichtete<br />

Hilfsfond für Überlebende des Genozids – fünf Prozent des Bruttoinlandproduktes<br />

– kann die dringendsten Bedürfnisse nicht decken.<br />

Die ruandische Regierung konsolidiert sich, indem sie Kriegsthemen<br />

einerseits aufgreift und angeht, andererseits aber unterschlägt. Auch die<br />

während des Krieges begangenen Verbrechen der Ruandisch Patriotischen<br />

Front sind bis heute tabu. Sie werden in keinem gerichtlichen Verfahren behandelt.<br />

20<br />

Erinnern konstituiert auch Vergessen. Die Nation wird erneuert, der Staat<br />

gestärkt. Die offizielle Erinnerungspolitik ist eng an die Legitimation von<br />

Machtansprüchen und an Fragen nach der nationalen Identitätsstiftung<br />

gebunden. 21 Die politische Aneignung von Erinnerungen birgt dabei das<br />

Risiko, eine Wahrheit festzuschreiben, in der die vielen Dimensionen des<br />

Erlebten untergehen.<br />

Ein zum Leitmotiv erhobener Satz in Ruanda ist: Haben wir denn eine<br />

Wahl? Noch herrscht Misstrauen und Vorsicht. Überlebende beurteilen Täter<br />

in der Nachbarschaft danach, ob deren Reue bloß vorgetäuscht ist oder, wie<br />

die Frauen sagen, wirklich aus dem Herzen kommt. Für viele Menschen in<br />

Ruanda hält »17 Jahre danach« der Nach-Krieg an.<br />

Erinnern, Vergessen, Verarbeiten<br />

Die Frage, wie auf den Trümmern zurückliegender Gewalt soziale und<br />

rechtsstaatliche Ordnung wieder hergestellt werden können, gewinnt insbesondere<br />

nach innerstaatlichen Konflikten heute zunehmend an Bedeutung.<br />

Meine Arbeit knüpft an aktuelle gesellschaftspolitische Fragen nach der Ver-<br />

19 Interview auf Französisch am 28.06.2008.<br />

20 Vgl. Peter Uvin: Difficult choices in the new postconflict agenda. The International Community in Rwanda.<br />

In: Third World Quaterly, Basingstoke 2001, S. 177-189.<br />

21 Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen,<br />

München 1992.<br />

195

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