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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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dieser Tiere folgen einem »tierischen Konservatismus« 18 , der eine strikte<br />

Rangordnung der Tiere sowie die potentiellen Bildempfänger_innen vorsieht.<br />

Im deutschen Sprachraum begannen die Identifizierung des Fremden und<br />

seine Abwertung als Tier im Mittelalter. 19 Die mittelalterlichen Tierfiguren<br />

hatten eine spezifische Funktion: sie verwiesen durch Symbolisierung und<br />

Personalisierung auf eine übergeordnete Bedeutung Gottes. Die Bibelexegese<br />

und -allegorese bildeten das »Reservoir«, über das die Bedeutungen der<br />

Bilder decodiert wurden. 20 Im Besonderen waren es Tiere, die als unrein, stinkend<br />

oder giftig galten, die »Juden« 21 durch eine Metaphorisierung abwerten<br />

sollten, wie zum Beispiel Kröten, Ziegenböcke, Schlangen oder Schweine.<br />

Bei der Metaphernverwendung stand die Lehre der Juden und Jüdinnen als<br />

teuflisch im Zentrum. 22 Eine vermeintliche Affinität mit dem Teufel wurde<br />

zum Beispiel durch das Reiten auf einer Ziege zum Ausdruck gebracht – es<br />

war der Kontakt mit dem Tier, der den Menschen »unrein« machte. Diese<br />

Motive waren an ein »problem setting« und entsprechende Handlungsappelle<br />

geknüpft, 23 die einem religiös motivierten Antijudaismus entsprachen:<br />

Juden und Jüdinnen wurden wegen ihrer angeblichen »Unreinheit«<br />

aus ganzen Landstrichen vertrieben und immer wieder auch als Hunde totgeschlagen.<br />

24<br />

Mit dem Paradigmenwechsel der Neuzeit etablierten sich solche antijüdischen<br />

Topoi, Stereotype und Tiermetaphern, die heute als Basis des modernen<br />

Antisemitismus gelten. 25 Zusätzlich zu den religiös motivierten Topoi<br />

traten Metaphorisierungen mit Bildern des Betrugs, des Geldwuchers und<br />

der Aufschneiderei hinzu. 26 Diese Skripte stellten vor allem solche Tiere zur<br />

Schmutz und in den Zuständen der Ungesundheit.« – Eugen Duehring: Die Judenfrage als Frage des Rassencharakters<br />

und seiner Schädlichkeit für Existenz und Kultur der Völker. Mit einer gemeinverständlichen<br />

und denkerisch freiheitlichen Antwort, Leipzig 1930, S. 8.<br />

18 Alfred Opitz: »Adler« und »Ratte«. Schriftstellerisches Selbstverständnis und politisches Bewußtsein in der<br />

Tiermetaphorik Heines. In: Heine-Jahrbuch 20 (1981), S. 22-54, hier: S. 35.<br />

19 Vgl. Boria Sax: Animals in the Third Reich. Pets, Scapegoats, and the Holocaust, New York, London 2000, S. 21.<br />

20 Bereits im Alten Testament symbolisieren Tiere Gefahr oder eine Bedrohung des Kollektivs als Strafe Gottes,<br />

wie z. B. in den ägyptischen Plagen. Im Mittelalter ist es die Bibelexegese, die u. a. auch mit solchen Bildern<br />

die Bedingung für eine allegorische Deutung der Wirklichkeit schafft, also alles als Zeichen einer Heilsgeschichte<br />

interpretiert. Die Skripte der metaphorisch eingesetzten Tiere wurden außerdem durch enzyklopädische<br />

Traditionen und Fabeln beschrieben, die viel apokryptisches Material verwendeten.<br />

21 »Juden« sind hier absichtlich in Anführungen gesetzt, um hervorzuheben, dass es sich um eine Konstruktion<br />

handelt: »Der Antisemitismus macht den Juden.« Vgl. Michael Daxner: Der Antisemitismus macht Juden.<br />

Gegenreden, Hamburg 2007.<br />

22 Im Gegensatz zu dem modernen Antisemitismus ist die mittelalterliche Judenfeindschaft eher mit einem<br />

Kampf gegen Ketzerei vergleichbar und wurde im Vergleich weniger stark bebildert.<br />

23 Über eine Metaphernverwendung kann nicht nur ein unbekannter Gegenstand interpretiert werden, es<br />

können mit ihr auch Problemsituationen und ein Handlungsbedarf kreiert werden. Metaphern können politische,<br />

soziale, ökonomische und kulturelle Vorstellungen widerspiegeln, wenn auch nur solche, die sprachlich<br />

ausgedrückt werden. Vgl. Nicoline Hortzitz: Der »Judenarzt«. Historische und sprachliche Untersuchungen<br />

zur Diskriminierung eines Berufsstands in der frühen Neuzeit, Heidelberg 1994, S. vi.<br />

24 Nicht nur Juden und Jüdinnen wurden mit diesen Tieren im Mittelalter metaphorisiert, auch als abweichend<br />

markierte Körper wie Frauen oder Andersgläubige wurden so abgewertet.<br />

25 Vgl. Hortzitz 1994 (s. Anm. 23), S. 115.<br />

26 Vgl. ebd., S. 133.<br />

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