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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Ruanda bleibt die ethnische Zugehörigkeit relevant, zumal die Überlebenden<br />

heute wieder gezwungen sind, mit ihren früheren Peinigern Tür an Tür<br />

zusammen zu leben, sich mit ihnen zu arrangieren.<br />

Ohne Gerechtigkeit keine Versöhnung, so lautet ein Leitsatz der ruandischen<br />

Regierung. Hunderttausende Angeklagte überfüllten nach dem Genozid<br />

die ruandischen Gefängnisse. Um ihnen den Prozess machen zu können,<br />

wurden überall im Land, in einem beispiellosen Kraftakt, eine neue dezentrale<br />

Form der Gerichtsbarkeit – die sogenannten Gacaca-Gerichte – installiert.<br />

In Amts- und Gemeindehäusern, auf Dorfplätzen, Wiesen und unter<br />

Bäumen versammeln sich seit Ende des Jahres 2002 einmal pro Woche Täter,<br />

Opfer, Zeug_innen und Laienrichter_innen. 17 Minder schwere Verbrechen<br />

sollen direkt in den Gemeinden verhandelt werden. Im Gespräch zwischen<br />

Opfer und Täter soll dabei die Bestrafung mit der Versöhnung einhergehen.<br />

Auch mit sexualisierter Kriegsgewalt – die unter der Kategorie der schwersten<br />

Verbrechen zuvor vor dem Internationalen Tribunal im tansanischen<br />

Arusha verhandelt wurde – befassen sich heute die lokalen Laiengerichte. Es<br />

waren vor allem ruandische Politikerinnen, die sich dafür eingesetzt haben,<br />

das, was Frauen im Krieg erlitten haben, ans Licht zu bringen. Nicht im fernen<br />

Arusha, sondern vor Ort sollen die Verbrechen aufgearbeitet werden.<br />

Denn ohne eine umfassende Aufarbeitung der Folgen dieser Gewaltform für<br />

die Geschlechterrollen, so erklären diese Politikerinnen, ist ein friedliches<br />

Miteinander nicht möglich. Die Senatorin Aloysia Inyumba: »Wir Frauen im<br />

Parlament haben hart darum gekämpft, das Schicksal der Betroffenen zu einem<br />

dringlichen Anliegen der Politik zu machen. Diese Grausamkeiten<br />

während des Genozids geschahen in aller Öffentlichkeit. Jeder wusste, welcher<br />

Nachbar welche Frau geschändet hat, es war kein Geheimnis. Genauso<br />

öffentlich haben wir nun mit diesen Verbrechen umzugehen. Wir meinen, es<br />

ist das Beste, darüber zu sprechen, uns, die Gesellschaft mit unserer Vergangenheit<br />

zu konfrontieren. Wir versuchen, die Dorfgemeinden zu mobilisieren,<br />

mit einzusteigen in eine öffentliche Diskussion. Wir sagen ihnen: Wir<br />

werden die Kriegsverbrecher nicht einfach so davonkommen lassen!« 18<br />

Während die Regierung das Experiment Gacaca für alternativlose Opferpolitik<br />

hält, haben vor allem Betroffene viel dagegen einzuwenden, etwa<br />

dass die Überlebenden während der Gacaca-Verhandlungen ihren Peinigern<br />

schutzlos, ohne Anwalt gegenüberstünden. Die Menschenrechtsaktivistin<br />

Godeliève Mukasarasi: »Man verlangt einmal mehr von den Frauen, Rede zu<br />

stehen, ihr Leiden wieder zu erleben – und das direkt von Angesicht zu Angesicht<br />

mit ihren Peinigern! Unsere Erfahrung ist, dass, wenn die Frauen anfangen<br />

zu sprechen, ihre Erinnerungen zurückkehren, sind sie ihnen preisge-<br />

17 Ende des Jahres 2010 wurden die letzten Gacaca-Verfahren eingestellt.<br />

18 Interview auf Englisch am 19.07.2008.<br />

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