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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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eine politische Nutzlosigkeit und lasse die Betroffenen Auswege in einem<br />

»gefühlsmäßigen Radikalismus« 2 suchen; sie hätten nur die »Wahl zwischen<br />

Resignation und sporadischen Gewaltausbrüchen« 3 .<br />

Wenn auch mit jeweils anderen Begriffen lässt sich diese »dunkle Seite«<br />

der Emanzipationsbemühungen immer wieder finden. Man könnte meinen<br />

zu Recht, denn tatsächlich sind die Versuche, unter den Marginalisierten das<br />

neue »revolutionäre Subjekt« zu finden, wenig überzeugend. Das sollte aber<br />

kein Grund dafür sein, dass sich das Gros der Befreiungstheorien und -praktiken<br />

so wenig von der Kritik an ihrem produktivistischen Subjektverständnis<br />

in Frage stellen lässt und etwa die Eigenlogik von Armutsprotesten so<br />

wenig ernst nimmt.<br />

Die Vorstellung vom Lumpen- oder soziologischer: Subproletariat im linken<br />

Imaginären möchte ich anhand zweier Filme untersuchen 4 : Streik von<br />

Sergej Eisenstein und Accattone von Pier Paolo Pasolini. 5 Eisenstein und<br />

Pasolini waren marxistische Intellektuelle in Russland bzw. Italien. Eine Untersuchung<br />

ihrer Filme ist deshalb besonders interessant, weil hier eine doppelte<br />

Repräsentationsbeziehung vorliegt: Zum einen repräsentiert und gestaltet<br />

das Medium Film seinen Gegenstand, das Subproletariat. Als linke<br />

Intellektuelle hatten die Regisseure zum anderen einen Wirkungsanspruch<br />

und unterbreiteten ein Deutungsangebot, so dass es sich auch um eine Form<br />

politischer Repräsentation in dem Sinne handelt, dass die Filme zu und für<br />

die AdressatInnen der Linken sprechen.<br />

Ich werde zunächst beide Filme vorstellen und die jeweilige Darstellung<br />

des Subproletariats kommentieren. Dabei werde ich in die persönliche und<br />

politische Biographie und künstlerischen Ansprüche kurz einführen – wo<br />

sonst ein naiver Kurzschluss von Leben und Werk zu vermeiden ist, rechtfertigt<br />

die unterstellte Wirkungsintention die Frage, was der Autor uns denn<br />

»damit« habe sagen wollen. In einem zweiten Schritt werde ich die Darstellung<br />

des Subproletariats in beiden Filmen so zuspitzen, dass ein deutlicher<br />

Gegensatz sichtbar wird. Schließlich will ich drittens in kursorischer Art<br />

mögliche Schlussfolgerungen für die kritische Theorie der Gesellschaft skizzieren.<br />

2 Pierre Bourdieu: Algerische Skizzen, Berlin 2010, S. 302.<br />

3 Castel 2000 (s. Anm. 1), S. 359 f.<br />

4 Für eine inspirierende Untersuchung der Debatten über »Unterschichtliteratur« in der deutschen Sozialdemokratie<br />

Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Rebekka Habermas: Wie Unterschichten nicht dargestellt werden<br />

sollten. Debatten um 1890 oder »Cacatum non est pictum!«. In: Rolf Lindner; Lutz Musner (Hrsg.): Unterschicht.<br />

Kulturwissenschaftliche Erkundungen der »Armen« in Geschichte und Gegenwart, Freiburg, Berlin,<br />

Wien 2008, S. 97-122.<br />

5 Im Kontext einer Analyse des Lumpenproletariats-Komplexes im Werk von Marx und Engels wird Eisensteins<br />

Film erwähnt bei Robert L. Bussard: The »Dangerous Class« of Marx and Engels. The Rise of the Idea<br />

of the Lumpenproletariat. In: History of European Ideas, vol. 8, no. 6, 1987, S. 675-692; Pasolinis Arbeiten<br />

wurden häufig in den Kontext von Diskussionen über das Lumpenproletariat gerückt; für einen jüngeren<br />

Versuch vgl. Fabio Vighi: Pasolini and Exclusion. Z ˇ izˇek, Agamben and the Modern Sub-Proletariat. In:<br />

Theory, Culture and Society, vol. 20, no. 5, 2003, S. 99-121.<br />

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