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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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schichtliche Verläufe eingebunden sind, die anschließend mit Situationen<br />

konfrontiert waren, die die Erfahrung mit der KPD in den 1920er Jahren<br />

buchstäblich in den Schatten stellt, konnten die ambivalenten Gefühle gegenüber<br />

der parteiinternen Entwicklung überlagert werden. Dementsprechend<br />

wurde die Motivation zur Kritik, die anstand, um den Zwiespalt aufzulösen,<br />

entweder auf die lange Bank geschoben oder komplett verworfen.<br />

Autobiografien berichten über die 1920er Jahre deshalb immer gefärbt durch<br />

die Brille der nachfolgenden Erfahrung.<br />

II.<br />

Es deutet sich bereits an, dass die Analyse von Autobiografien nicht einfach<br />

ist, will man die darin enthaltenen Erfahrungen herausdestillieren. Die Sperrigkeit<br />

des Untersuchungsgegenstands wird noch dadurch verstärkt, dass<br />

sich das Genre ebenfalls als sperrig erweist, was in der einschlägigen Literatur<br />

auch einmütig konstatiert wird. 12<br />

Nach der Konturierung meines Gegenstandes will ich nunmehr auf die<br />

Erschließung der Autobiografien eingehen. Autobiografien gelten zwar<br />

landläufig als bekenntnishafte Bildungs- und Entwicklungsgeschichten,<br />

Schlüssel zum Verständnis der Persönlichkeit des Autors und Form der<br />

Selbstdarstellung, der es gelingt, das eigene Leben in größere geschichtliche<br />

und gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen und es so als kohärente<br />

Einheit zu präsentieren. Diese Sicht ist in der Forschung aber längst nicht<br />

mehr unwidersprochen.<br />

Stichwortgeber für die Auffassung von Autobiografie, die sich im Alltagsverstand<br />

niedergeschlagen hat und auch wissenschaftlich lange Zeit bestimmend<br />

war, ist der Soziologe Wilhelm Dilthey. Den Schlüssel für seine Perspektive<br />

liefert seine lebensphilosophische Erkenntnistheorie, die die<br />

Autobiografie für eine herausragende Form der Selbst- und Lebensdeutung<br />

erklärte. In Autobiografien werde auf herausragende Weise von der Verschränkung<br />

von Individualgeschichte und allgemeiner Geistesgeschichte<br />

Zeugnis abgelegt und damit die Hermeneutik des Verstehens in der Praxis<br />

angewendet. Dementsprechend galten Autobiografien als authentische<br />

Form der historischen Überlieferung, wurden als Quellen- und Belegmaterial<br />

der geschichtswissenschaftlichen Forschung zugeordnet und ihnen ein<br />

großer Wahrheits- und Objektivitätsgehalt zugeschrieben. 13 Inzwischen aller-<br />

12 Vgl. Günter Niggl (Hrsg.): Die Autobiographie. Zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, Darmstadt<br />

1989; Michaela Holdenried: Autobiographie, Stuttgart 2000; Martina Wagner-Egelhaaf: Autobiographie,<br />

Stuttgart, Weimar 2000.<br />

13 »War die Autobiographie am Anfang der Autobiographie Quelle und Beleg für die Allgemeingeschichte und<br />

musste sie auch noch in ihrer individuellsten Ausprägung die Wahrheitsvorschrift der Historiographie befolgen,<br />

so sind die Verfahren der oral history und auch der sozialgeschichtlichen Biographieforschung späte<br />

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