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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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macht worden, so dass nur sein Kopf im Profil und die Decke im Bild sind.<br />

Vermutlich weiß der Mann, dass er fotografiert wird – er schaut jedoch nicht<br />

in die Kamera, sondern fast versunken geradeaus; es könnte sich gleichermaßen<br />

um einen Schnappschuss wie um eine Inszenierung handeln. Die<br />

Nahaufnahme ist qualitativ hochwertig, ausreichend belichtet und scharf.<br />

Stilistisch entspricht das Bild einem kunstvollen Porträtfoto aus einer ungewöhnlichen<br />

Perspektive. Hintergrund und Kontext der Situation sind zwar<br />

ausgeblendet, die Decke verweist aber möglicherweise auf ein Bett. Durch<br />

die Nähe, die ungewöhnliche Perspektive und die scheinbare Ruhe oder Versunkenheit<br />

des Mannes besitzt das Bild einen persönlichen Charakter. Der<br />

nahe und intime Blick auf den Fotografierten weckt die Neugier des Betrachtenden:<br />

Wer ist der Mann und was ist mit ihm? Ist er krank oder müde?<br />

Warum ist er in Laken gehüllt? Wo und in welcher Situation befindet er sich?<br />

Bei dem Bild handelt es sich um ein Foto von Mendel Grosmans krankem<br />

Vater. Bis kurz vor dessen Tod hat er zahlreiche Aufnahmen von ihm gemacht<br />

– sie stellen eine Art Hommage, aber auch ein Eingeständnis dar. Das<br />

Bild gehört zu den zahlreichen Aufnahmen, die Grosman von seiner Familie<br />

im Ghetto gemacht hat. Die zentrale Funktion dieser Bilder war die persönliche<br />

Erinnerung. Grosman selbst erlebte die Befreiung nicht mehr. Nach der<br />

Auflösung des Ghettos wurde er nach Auschwitz deportiert und kam von<br />

dort nach Königswusterhausen. Auf dem Todesmarsch aus diesem Lager<br />

wurde er vermutlich von einem SS-Mann erschossen. Seine Bilder können<br />

bis heute Geschichten vom Leben, Überleben und dem Sterben im Ghetto erzählen.<br />

Sie liegen abseits der großen Erzählungen, weil sie den Alltag der Fotografierten<br />

fokussieren.<br />

Die Alben Steiner – vermutlich Polizist und Amateurfotograf<br />

Steiners fotografische Tätigkeit stand nicht mit den erhofften Effekten der<br />

fotografischen Dokumentation der Zwangsarbeit in Verbindung, sondern<br />

vielmehr mit seiner polizeilichen Arbeit. Im Fotoarchiv des Z˙ ydowskiego<br />

Instytutu Historycznego (Z˙ IH) in Warschau gibt es zwei Alben, die handschriftlich<br />

von Steiner gezeichnet sind. 36 Das eine Album enthält eine Widmung<br />

an den »Herrn Polizeipräsidenten Albert zur Erinnerung an unsere<br />

Zusammenarbeit bei der Lösung der Judenfrage in Litzmannstadt«. Das andere<br />

Album trägt den Titel »Die Polizei greift durch« und ist ebenfalls »Meinem<br />

lieben Kameraden W. Albert zum 8. September 1942« gewidmet. Es ent-<br />

36 Steiner hat nicht nur das Album angelegt, sondern war auch der Fotograf, wie sich anhand der Signierung<br />

seiner Bilder auf der Rückseite rekonstruieren lässt. – (Gespräch mit Jan Jagielski am 3. April 2009 im Fotoarchiv<br />

des Z˙ IH.)<br />

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