02.12.2012 Aufrufe

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

es ein Widerspruch. Einerseits bedarf es des Interesses an der Aufgabe des<br />

eigenen Interesses zugunsten des anderen, andererseits ist der Ausgangspunkt<br />

dieses Interesses gerade die Durchsetzung des eigenen gegen das des<br />

anderen.<br />

»Damit ist also die vollständige Freiheit des Individuums gesezt: Freiwillige<br />

Transaction; Gewalt von keiner Seite; Setzen seiner als Mittel, oder als<br />

dienend, nur als Mittel um sich als Selbstzweck, als das Herrschende und<br />

Uebergreifende zu setzen; endlich das selbstsüchtige Interesse, kein darüber<br />

stehendes verwirklichend; der andre ist auch ebenso sein selbstsüchtiges Interesse<br />

verwirklichend anerkannt und gewußt, so daß beide wissen, daß das<br />

gemeinschaftliche Interesse eben nur in der Doppelseitigkeit, Vielseitigkeit,<br />

und Verselbständigung nach den verschiednen Seiten der Austausch des<br />

selbstsüchtigen Interesses ist. Das allgemeine Interesse ist eben die Allgemeinheit<br />

der selbstsüchtigen Interessen.« 27<br />

Die ökonomischen Akteure haben also beide das Interesse an einer Allgemeinheit,<br />

ohne selbst ihre den anderen schädigenden Interessen relativieren<br />

zu wollen. Es wird demnach von den beiden Kontrahenten gewusst, beiden<br />

ist dieses gemeinschaftliche Interesse im Bewusstsein, aber dennoch ist es<br />

nicht individuelles Interesse der Kontrahenten.<br />

Das allgemeine Interesse als moralische Bewusstseinsform<br />

Aber wie ist dann das gemeinschaftliche Interesse im Bewusstsein der Kontrahenten,<br />

wenn nicht als deren individuelles Interesse? Marx meint, es<br />

emanzipiere sich im Bewusstsein von den individuellen Interessen der Tauschenden,<br />

es liege als eine neue Bewusstseinsform vor. Das gemeinschaftliche<br />

Interesse, das keiner individuell will, ist im Bewusstsein als ein der bürgerlichen<br />

Existenz vorausgesetztes, aber jeder instrumentellen Bewertung entzogenes<br />

Prinzip vorhanden. Es muss erstens positiv bewertet werden – weil<br />

unbedingt notwendig –, zweitens muss die Affirmation jenseits jedes bestimmten<br />

Interesses liegen, weil es ansonsten gar nicht erst zustande kommen<br />

kann. Und drittens muss das Prinzip als für alle verbindlich gedacht<br />

werden, da es gegensätzliche Interessen aufeinander verpflichten soll, damit<br />

sie überhaupt gegeneinander verfolgt werden können.<br />

Die Bewusstseinsform, in der diese drei Kriterien verwirklicht sind, ist die<br />

der Moral. In der Auseinandersetzung mit Stirner hat Marx gezeigt, dass er<br />

den Gegensatz zwischen Altruismus und Egoismus als konstitutiv für die<br />

Moral ansieht. 28 Die Aufgabe des eigenen Interesses als höhere Pflicht wird in<br />

27 Ebd., S. 168.<br />

28 Marx; Engels: Deutsche Ideologie (s. Anm. 11), S. 229.<br />

76

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!