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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Die Basis: Familientraditionen<br />

Die den familiären Handlungshintergrund bestimmende Interaktionslogik<br />

wird zum einen durch die bäuerliche Familientradition des Großvaters Karl-<br />

Herbert gebildet, zum anderen durch die bürgerlich orientierte Handwerksfamilie<br />

der Großmutter Johanna. Zunächst bestimmt die patriarchale, bäuerliche<br />

Abstammungslinie Karl-Herberts das Familienmilieu, das sich daher<br />

durch Arbeitsleistung, Traditionsorientierung, Reziprozität sowie durch eine<br />

Familiengemeinschaft ohne (soziale) Rückzugsmöglichkeit ausgezeichnet<br />

haben dürfte. Diese männliche Machttradition wird zusätzlich durch den<br />

männerzentrierten ›Familienfluch‹ des eingeschränkten Stammhalterüberlebens<br />

betont und führt zu einer pyramidalen Familienstruktur mit Karl-Herbert<br />

an der Spitze. In den Punkten Leistung und reziproke Gemeinschaft<br />

treffen sich die beiden Traditionen. Hinsichtlich der Forderung nach Privatsphäre<br />

unterscheiden sie sich jedoch maßgeblich. Die am bürgerlichen Ideal<br />

orientierte Handwerksfamilie begreift Familie als intimen Rückzugsort,<br />

während in der bäuerlichen Familie ein Rückzug in die Privatsphäre den gemeinsam<br />

zu erbringenden Arbeitsleistungen entgegenstehen würde. Dieser<br />

Unterschied ist für den Umgang mit dem familialen Krebs wesentlich.<br />

1975 und Folgejahre: Krise durch Krankheit<br />

Die Erkrankungen und die krebsbedingten Tode der Urgroßmutter sowie<br />

zweier Schwestern Johannas in den 1960er und 70er Jahren tragen dazu bei,<br />

dass die erwachsenen Frauen der Familie SSB sich während der Krebserkrankung<br />

um diese Verwandten kümmern und selbst frühzeitig mit gynäkologischen<br />

Vorsorgeuntersuchungen beginnen.<br />

Bei einem dieser Arztbesuche wird bei Johanna 1975 Eierstockkrebs diagnostiziert,<br />

was zur operativen Entfernung der betroffenen Organe führt. Ihr<br />

Mann Karl-Herbert rechnet daraufhin offensichtlich mit Johannas Tod und<br />

fordert seine Töchter Lydia und Anke auf, ihn und den Haushalt zu versorgen.<br />

Diese weigern sich. Mit der Genesung Johannas entspannt sich die Situation,<br />

bis diese 1985 erneut, diesmal an Brustkrebs, erkrankt und ihr eine<br />

Brust entfernt wird. 1997 kommt es zu einer dritten Krebserkrankung Johannas,<br />

einem Hautkrebs an der Nase, der jedoch undramatisch verläuft. Während<br />

Lydia sich als Ansprechpartnerin und Unterstützerin Johannas in den<br />

Krebsperioden etabliert und Johanna selbst, »ohne zu jammern«, gegen die<br />

Krankheit kämpft, agiert Karl-Herbert meistenteils öffentlich bloßstellend<br />

und privat abwertend gegenüber seiner Frau. Er entwickelt selbst verschiedene<br />

Krankheiten (Schlaganfall, Diabetes) sowie eine Tendenz zu deren Thematisierung,<br />

was jedoch innerfamiliär wenig ernst genommen wird.<br />

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