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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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der Basis. Diese Haltung führt in politischen Auseinandersetzungen jenseits<br />

des lokalen Rahmens häufig zu Maximalforderungen und dem Beharren auf<br />

den jeweiligen Partikularinteressen. Eine Person, die außerhalb der Gemeinschaft<br />

die Interessen der eigenen Gruppe erfolgreich vertreten will, muss zudem<br />

Spanisch sprechen können, sollte mit den Spielregeln der dominanten<br />

Kultur vertraut sein, Durchsetzungsvermögen besitzen und das notwendige<br />

Verhandlungsgeschick mitbringen. Fähigkeiten und Kompetenzen, die für<br />

ein traditionelles indigenes Amt meist keine Rolle spielen.<br />

Diese Gleichzeitigkeit und Überlagerung unterschiedlicher demokratischer<br />

Praxen und Funktionslogiken verweist auf einen wichtigen Punkt: Trotz<br />

der Spezifika und Unterschiede indigener Organisationsstrukturen und Entscheidungsfindungsprozesse<br />

sollten kulturelle Unterschiede weder als statisch<br />

betrachtet noch essentialisiert werden. Ethnische Identitäten sind nicht<br />

als biologisches Wesen oder Faktum zu verstehen, sondern lassen sich vielmehr<br />

als eine gesellschaftliche Positionierung sowie soziales Konstrukt 28<br />

begreifen oder auch als Prozesse der Identifizierung und Kategorisierung 29<br />

umschreiben. Die Identität eines jeden Individuums setzt sich aus verschiedenen,<br />

sich überlagernden Eigen- und Fremdzuschreibungen zusammen.<br />

Gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen sind Teil der Herausbildung,<br />

Gewichtung und (Re)Interpretation unterschiedlicher individueller und kollektiver<br />

identitätspolitischer Aspekte. So können neben Ethnizität weitere<br />

Differenzkategorien, wie Klasse oder Geschlecht, aber beispielsweise auch<br />

Zugehörigkeit zu einer religiösen Gemeinschaft, sexuelle Ausrichtung, Alter<br />

oder regionale Bindungen ein Individuum und seine jeweiligen Lebensphasen<br />

unterschiedlich stark prägen. 30 Das bedeutet, dass kein Subjekt und kein<br />

Kollektiv eine homogene, fest gefügte beziehungsweise prinzipiell in sich<br />

(ab)geschlossene Identität besitzt. 31 Identitäre Zuschreibungen sind immer<br />

relational, partiell sowie temporär und somit grundsätzlich wandelbar. Die<br />

Pluralität verschiedener Subjektpositionen sollte dabei nicht als Nebeneinander<br />

und Koexistenz, sondern eher als Unterwanderung und Überlagerung<br />

einiger Positionen durch andere oder auch als mögliche Verschiebung und<br />

Modifizierung von subjektbezogenen Prioritäten gedacht werden. 32 Das bedeutet<br />

allerdings nicht, dass Identitätssuche und -fixierungen in einem vorgesellschaftlichen<br />

Machtvakuum oder losgelöst von sozioökonomischen<br />

Strukturen, symbolischen Ordnungen, gesellschaftlichen Institutionen, sozialen<br />

Praxen und historisch-spezifischen Momenten stattfinden. Prozesse<br />

28 Stuart Hall: Rassismus und kulturelle Identität, Hamburg 1994, S. 29.<br />

29 Rogers Brubaker: Ethnizität ohne Gruppen, Hamburg 2007, S. 68 f.<br />

30 Vgl. Juliana Ströbele-Gregor: Indigene Völker und Gesellschaft in Lateinamerika. Herausforderungen an die<br />

Demokratie. Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit, Eschborn 2004, S. 6.<br />

31 Vgl. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main 1991, S. 210.<br />

32 Vgl. Chantal Mouffe: Algunas consideraciones sobre una política feminista. In: La Época, Jg. IX, Nr. 426,<br />

2010, S. 11-13.<br />

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