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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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tung nahe, dass sie Kontakte zu den Arbeiter_innen oder sogar zur »Führerschicht«<br />

19 haben muss. Dies lässt sich schließen aus den ausführlichen Gesprächen,<br />

die sie darstellt. Normalerweise ist es den Angestellten untersagt,<br />

mit außenstehenden Personen zu reden, denn die internen Vorkommnisse<br />

im Betrieb unterliegen strengster Geheimhaltung: »Niemand darf darüber<br />

sprechen! Die Werksangehörigen müssen sich schriftlich verpflichten, über<br />

alles zu schweigen, was sie in der Fabrik erfahren.« 20 Alle Angestellten haben<br />

sich an die Regel gehalten, »aber die Stummen haben es doch verraten« 21 .<br />

Mit diesem Zitat eines Höchst-Arbeiters weist Maria Leitner auf das große<br />

Fischsterben hin: »Die Fische am Main, Karpfen und Schleie, gediehen gut.<br />

Plötzlich, von einer Stunde zur anderen, setzte das Fischsterben ein. Ein<br />

Fischsterben, wie man es noch nie und nirgends gesehen hat. [...] Zufällig<br />

fand an dem nächsten Sonntag in ganz Deutschland ein großes Wett- und<br />

Preisangeln statt. Vier Stunden lang saßen Hunderte Angler an den Ufern<br />

des Mains. Nicht einem gelang es, auch nur einen einzigen Fisch zu fangen.<br />

[...] [H]atten sie voll Grauen einen Blick in die Zukunft der Menschheit getan?<br />

Denn für sie, die Menschen, ist das ja Gift bestimmt. [...] Nur ein Tröpfchen<br />

davon gelangte in den Main, welch ungeheure Mengen aber werden in<br />

den Höchster Farbwerken zusammengebraut! Wie aber, wenn es seinem<br />

Zweck entsprechend gegen die Menschen gerichtet werden sollte? Würde<br />

das Leben auf unserem Planeten von einem Tag zum nächsten aufhören wie<br />

in den Gewässern des Mains?« 22<br />

Die Autorin weist mit erstaunlicher Voraussicht bereits damals darauf<br />

hin, welchem Zweck die erneute Produktion von Giftgas dienen wird, denn<br />

als Zeitzeugin des Ersten Weltkrieges weiß sie um die Gräuel, die durch Giftgase<br />

an den Kriegsfronten angerichtet wurden. 1925 wird im Genfer Protokoll<br />

die Anwendung von Giftgasen ausdrücklich verboten.<br />

Maria Leitner nutzt das Stilmittel des Dialogs: In ihren Reportagen lässt<br />

sie Angestellte des Betriebes und Augenzeug_innen zu Wort kommen, um<br />

die Leser_innen für die Dramatik der heraufziehenden Gefahr zu sensibilisieren.<br />

Hierzu schreibt der Historiker Friedrich G. Kürbisch: »Mehrere<br />

Reportagen wirkten auf mich wie erfunden, weil der Handlungsablauf mir<br />

wie gewollt erschien.« Nach gründlichen Nachrecherchen der Reportagen<br />

aus Nazideutschland räumt er jedoch ein: »nichts war fiktiv, alles hat gestimmt«<br />

23 .<br />

19 Ebd., S. 58.<br />

20 Ebd., S. 57.<br />

21 Ebd.<br />

22 Ebd.<br />

23 Friedrich G. Kürbisch: Arbeiterbewegung und Arbeiterdichtung. Referate. Gehalten in Attersburg (Burgenland)<br />

am 4. und 5. September 1980 im Rahmen eines gleichnamigen Symposiums. Beiträge zur Geschichte<br />

der Sozialdemokratischen Arbeiterbewegung im Sudeten-, Karpaten- und Donauraum. Folge 4, München<br />

1981, S. 85-103, hier: S. 99.<br />

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