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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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genen Interessen der anderen Klasse mittels Universalisierung ›unterjubelt‹.<br />

Die gegenseitige (auch identitäre) Verschränkung von Herrschenden und<br />

Subalternen und ihre subjekt- und realitätskonstituierende Wirkung bleiben<br />

im Dunklen. Hegemonie erscheint infolgedessen bei Gramsci als etwas Negatives.<br />

Denn in seiner Konzeption stehen sich immer noch zwei Klassen gegenüber.<br />

Ernesto Laclau und Chantal Mouffe weisen daher darauf hin, dass<br />

seine Konzeption einen »verborgene[n] essentialistische[n] Kern« 11 enthält:<br />

»Man sollte glauben, dass hier alle Bedingungen für das, was wir die demokratische<br />

Praxis der Hegemonie genannt haben, vorhanden sind. Nichtsdestoweniger<br />

beruht die ganze Konstruktion auf einer letztlich inkohärenten<br />

Konzeption, die nicht imstande ist, den Dualismus des klassischen Marxismus<br />

vollständig zu überwinden. Für Gramsci muss es [...] in jeder hegemonialen<br />

Formation immer ein einziges vereinheitlichendes Prinzip geben, und<br />

dies kann nur eine fundamentale Klasse sein.« 12<br />

Mithilfe der Hegemoniekonzeption von Laclau und Mouffe lässt sich dieses<br />

Top-down-Verständnis von Hegemonie auflösen. Sie greifen Gramscis<br />

Hegemonieansatz auf und übertragen ihn auf die generelle Produktion sozialer<br />

Wirklichkeit. Denn erst durch den temporären Ausschluss und die Undenkbarmachung<br />

von anderen Realitäten kann Sinn fixiert und damit soziale<br />

Wirklichkeit geschaffen werden. Hegemonie ist damit weder positiv<br />

noch negativ konnotiert, sondern der wesentliche Bestandteil von Sinnproduktion<br />

und sozialer Wirklichkeit. Laclau und Mouffe geben Gramscis Hegemonieansatz<br />

damit eine poststrukturalistische Wendung: »Jede gesellschaftliche<br />

Ordnung ist politischer Natur und basiert auf einer Form von<br />

Ausschließung. Es gibt immer andere unterdrückte Möglichkeiten, die aber<br />

reaktiviert werden können. Die artikulatorischen Verfahrensweisen, durch<br />

die eine bestimmte Ordnung etabliert und die Bedeutung der gesellschaftlichen<br />

Institutionen festgelegt wird, sind ›hegemoniale Verfahrensweisen‹.« 13<br />

Soziale Wirklichkeit ist infolgedessen immer hegemonial konstituiert, das<br />

heißt andere Realitäten werden zumindest temporär ausgeschlossen. Die<br />

Frage, welche soziale Realität sich als hegemonial etablieren kann – also ob<br />

sich beispielsweise das neoliberale Weltbild und die damit zusammenhängenden<br />

Vergesellschaftungsformen durchsetzen oder ob doch auch andere<br />

Realitäten denk- und lebbar werden –, ist daher immer umkämpft. Dieser<br />

ganzheitliche Blick, der Diskurse, Praktiken, Strategien und Herrschaftsverhältnisse<br />

nicht voneinander trennt, ermöglicht es, Realität auf eine ganz andere<br />

Weise zu begreifen und gegen-hegemoniale Perspektiven zu eröffnen.<br />

11 Ernesto Laclau; Chantal Mouffe: Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus,<br />

Wien 2006, S. 105.<br />

12 Ebd., S. 104 f.<br />

13 Chantal Mouffe: Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion, Frankfurt am Main 2007, S. 27.<br />

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