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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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wirtschaft, aber mit dieser Krankheit können die Frauen keine schwere körperliche<br />

Arbeit verrichten, die Felder bestellen und das Vieh versorgen. Also<br />

haben sie nichts zu essen. Also sind sie hungrig und unterernährt. Und das<br />

hat zur Folge, dass die Aids-Medikamente nicht richtig wirken, die Frauen<br />

vertragen sie nicht. Viele wurden bei der Vergewaltigung außerdem mit<br />

Stöcken und Macheten geschlagen. Sie wurden verstümmelt und ihre Geschlechtsorgane<br />

schwer verletzt. Mit all diesen Handicaps sind sie auf Hilfe<br />

angewiesen.« 9<br />

Es sind die kleinen Schritte, die zählen, wenn die überlebenden Frauen in<br />

Ruanda das Leben ohne ihre Männer für sich und ihre Kinder neu zu gestalten<br />

beginnen. Godeliève Mukasarasis Organisation Sevota macht auf ihre<br />

Bedürfnisse sorgfältig abgestimmte Angebote: psychologische Einzel- und<br />

Gruppenberatungen, Fortbildungen in den Bereichen Gesundheit oder<br />

Frauen- und Kinderrechte helfen den Frauen, ihren Alltag wieder selbstbestimmt<br />

zu bewältigen. Zahllose Betroffene, die sonst schweigen, finden bei<br />

Sevota einen geschützten Raum, wo sie über ihre traumatischen Erlebnisse<br />

sprechen können. Eine Ehefrau will nicht, dass ihr Mann von ihrer Vergewaltigung<br />

erfährt. Eine junge Frau möchte sich nicht für den Rest ihres Lebens<br />

darauf reduzieren lassen, ein Opfer zu sein. Sobald eine Frau ihre Vergewaltigung<br />

in der Dorfgemeinschaft publik macht, muss sie mit ihrer Stigmatisierung<br />

rechnen. Die mit der Gewalt verbundene Schmach, das Entsetzen zerreißt<br />

oft alle Beziehungen. Gegen diese Isolation setzt Sevota vor allem auf<br />

die solidarische Vernetzung der Frauen. Untereinander suchen und geben<br />

sie sich Halt und lebenspraktische Unterstützung. Sie legen ihr Geld zusammen<br />

und geben einander Kleinstkredite aus. Sie helfen sich reihum bei der<br />

Feldarbeit, auch um die Kranken und Schwachen zu entlasten. Die gelebte<br />

Gemeinsamkeit wirkt heilend, sagen die Frauen, sie gibt ihnen Trost und<br />

Kraft. Consolata 10 , eine der Frauen von Sevota: »Wir können nicht die ganze<br />

Zeit weinen und im Schmerz verharren, wir müssen leben und wir müssen<br />

auch mit unseren Kindern gut leben. Während der Treffen hier bei Sevota<br />

wird uns Müttern erklärt, dass unsere Kinder keine Sünder sind, dass die<br />

Sünder vielmehr die Väter sind und dass unsere Kinder es nicht verdienen,<br />

wie Schuldige behandelt zu werden. Wir lernen auch, unseren Kindern die<br />

Wahrheit zu sagen. Mein Sohn fing nämlich irgendwann an, mir Fragen zu<br />

stellen: ›Wer ist mein Vater?‹ Zuerst bin ich ausgewichen, aber dann habe ich<br />

ihm die Wahrheit gesagt: ›Du wurdest während einer Vergewaltigung gezeugt,<br />

als ich in den Kongo fliehen wollte.‹ Von diesem Moment an sprach er<br />

nicht mehr mit mir. Inzwischen geht es ihm wieder besser. Er wünscht sich<br />

9 Interview auf Französisch am 08.06.2008. Soweit nicht anders angegeben wurden die folgenden Interviewausschnitte<br />

von der Verfasserin aus dem Englischen bzw. Französischen ins Deutsche übersetzt.<br />

10 Der Name der Interviewten wurde anonymisiert.<br />

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