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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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schen Implikationen auch zu folgen. Man könnte erwarten, dass mit wachsender<br />

Präsenz wenig bekleideter Körper am Strand ab den 20er Jahren des<br />

20. Jahrhunderts erotische Wunschvorstellungen und Erwartungen in einen<br />

Aufenthalt in einem Seebad und an dessen Stränden sich Geltung verschaffen.<br />

Paradoxerweise führt aber auch die Zunahme nackter Haut an den Meeresufern<br />

nicht zu einer Eruption sexuell triebhaften Verhaltens.<br />

Die theoretischen Diskurse der Körperkulturbewegung des ausgehenden<br />

19. und beginnenden 20. Jahrhunderts entwickelten ein Bild des nackten<br />

Körpers, das diesen sowohl versachlichte als auch mit einem unschuldigen<br />

Naturzustand gleichsetzte, und trennten ihn strikt von Sexualität. 49 Die FKK-<br />

Bewegung im Wilhelminismus war dem ständigen Zwang unterlegen, sich<br />

zu legitimieren: »Nacktheit wurde in der wilhelminischen Öffentlichkeit nur<br />

toleriert, wenn sie völlig asexuell war.« 50 Dem Dilemma zwischen dem Bedürfnis<br />

nach körperlicher Entblößtheit im Freien und der Verurteilung durch<br />

prüde wilhelminische Moralvorstellungen entgingen die Anhänger der FKK<br />

durch das Überstreifen eines ›Lichtkleides‹. 51 Die Kultur der Weimarer Republik<br />

(er-)findet neue Strategien, den nackten Körper, der über die Ineinssetzung<br />

von Gesundheit, Natürlichkeit, Nacktheit und Schönheit begriffen<br />

wird, von der Sexualität abzulösen. Sie erfährt eine ähnliche Versachlichung<br />

und Ökonomisierung wie alle Bereiche des privaten und gesellschaftlichen<br />

Lebens. 52 Die »sachliche[n] Zwecksetzung« der Entkleidung des Körpers bei<br />

Sport und Gymnastik verhindert jede erotische Konnotation 53 , und die sportliche<br />

Nacktkultur wollte sich als regelrechtes »Abwehrmittel gegen das Frivole«<br />

verstanden wissen. 54 Der wilhelminischen Prüderie wurde nun eine<br />

übermäßige Betonung des Sexuellen zugeschrieben, die gerade durch das<br />

verschämte Verbergen des weiblichen Körpers diesen in die »Dünste des<br />

Erotischen« einhüllte. 55 Durch die Befreiung des Körpers im sportlichen Zeitalter<br />

sollte das Geschlechtliche den Reiz des »Verbotene[n]« und des »Heimlich-Sündig-Reizvolle[n]«<br />

verlieren und damit seine Macht über Denken und<br />

Gefühle. 56 Das bevorzugte körperliche Erscheinungsbild der 1920er Jahre<br />

betont Geschlechtslosigkeit bzw. das Körperschema der prä-adoleszenten<br />

Lebensphase. Besonders der weibliche Körper soll dem Ideal der jungfräu-<br />

49 Vgl. Büchi 2003 (s. Anm. 48), S. 103 f.; Michael Andritzky: Einleitung. In: Michael Andritzky; Thomas Rautenberg<br />

(Hrsg.): »Wir sind nackt und nennen uns Du«. Von Lichtfreunden und Sonnenkämpfern. Eine Geschichte<br />

der Freikörperkultur, Gießen 1989, S. 4-9, hier: S. 5; Viktoria Schmidt-Linsenhoff: »Körperseele«.<br />

Freilichtakt und Neue Sinnlichkeit. In: Ebd., S. 124-129, hier: S. 127 f.<br />

50 Büchi 2003 (s. Anm. 48), S. 103.<br />

51 Vgl. Hans Peter Duerr: Nacktheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozeß, Bd. 1, Frankfurt am<br />

Main 1994, S. 152 f.; Büchi 2003 (s. Anm. 48), S. 104.<br />

52 Vgl. Becker 1993 (s. Anm. 38), S. 29, S. 333 ff.<br />

53 Ebd., S. 320.<br />

54 Herbert Sellke: Vom Sport zur Kunst. Betrachtungen über künstlerische Körpererziehung, Stuttgart 1926,<br />

zitiert nach Becker 1993 (s. Anm. 38), S. 320.<br />

55 Ebd.<br />

56 Ebd., S. 318 f., zitiert nach Frank Matzke: Jugend bekennt: So sind wir!, Leipzig 1930, 4.-6. veränderte Aufl.<br />

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