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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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diese Großerzählungen widersetzte. Spätestens auf der Rezeptionsebene waren<br />

die binären Deutungsmuster so dominant, dass eine Interpretation, die<br />

sowohl dem kommunistischen Begehren als auch der ernüchternden Erfahrung<br />

mit der Entwicklung der kommunistischen Bewegung Rechnung tragen<br />

wollte, randständig blieb.<br />

Bereits vor dem Ende der Systemkonkurrenz begann ein konkurrierendes<br />

Dispositiv die Erinnerungen neu zu orchestrieren und sukzessive das Dispositiv<br />

der Systemkonkurrenz abzulösen. Der dadurch gegründete neuere Erinnerungsdiskurs<br />

war gekennzeichnet von zwei Großnarrationen, die beide<br />

eine analoge Struktur aufweisen. Gemeinsam ist diesen Narrationen zum einen,<br />

dass in deren Mittelpunkt die Erfahrung von Menschheitsverbrechen<br />

steht, und zum anderen sind in ihnen die Erinnerungsinhalte gemäß einer<br />

dichotomen Struktur geordnet, in der nur die Subjektpositionen des Opfers<br />

und Täters vorgesehen sind: Im Zentrum der ersten Erzählung steht die zivilisatorische<br />

Katastrophe des totalen Krieges und der Shoah. Den Mittelpunkt<br />

der zweiten Erzählung bildet der Stalinismus, dessen Auswirkungen in der<br />

Sowjetunion, aber vor allem innerhalb der Satellitenstaaten der SU nach dem<br />

Ende des Zweiten Weltkrieges. Die binäre Struktur des Freund-Feind-Schemas<br />

wurde somit durch ein Täter-Opfer-Schema abgelöst.<br />

In diesem Setting sind für die Arbeiterbewegung auch nur diese beiden<br />

Plätze vorgesehen. Entweder als Opfer der politischen Verfolgung und des<br />

Verbots im Nationalsozialismus oder als Bewegung, aus deren revolutionären<br />

Idealen der totalitäre Staatssozialismus erwachsen ist. Ihre Inszenierung<br />

als eigenständige, positive Wirkungskraft des 20. Jahrhunderts ist in<br />

diesem Rahmen unmöglich.<br />

Im Hinblick auf das kommunistische Begehren wiegt noch zusätzlich,<br />

dass die Arbeiterbewegung durch ihre Eingemeindung in die Gesellschaften<br />

des globalen Westens ihre Rolle verloren hat, Träger und Kommunikator eines<br />

kommunistischen Begehrens zu sein.<br />

Die Eingemeindung der Arbeiterbewegung setzte bereits vor der Täter-<br />

Opfer-Strukturiertheit des vorherrschenden Erinnerungsdiskurses ein und<br />

unterlag der sozialintegrativen Kraft des Fordismus, welcher zentrale Forderungen<br />

der Arbeiterbewegung subsumieren konnte, indem ein breiter Wohlstand,<br />

soziale Sicherheit und beschränkte politische Partizipation gewährt<br />

wurden. Zudem implodierte Anfang der 1990er Jahre mit dem Ostblock<br />

auch die letzte Instanz, die eine konkurrierende Erzählung über das Los und<br />

die Errungenschaften der Arbeiterbewegung stützte und dem Begehren eine<br />

symbolische Präsenz sichern konnte.<br />

Damit wäre die Entwicklung der vorherrschenden Dispositive vom Ende<br />

des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart schlaglichtartig zusammengefasst.<br />

Für die intergenerationelle Weitergabe von diesbezüglichen Erfahrungen<br />

war dies von einer beträchtlichen blockierenden Wirkung gekenn-<br />

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