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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Situation ist bei einigen LiteratInnen insbesondere durch finanzielle Einbußen<br />

und Unsicherheit bestimmt. Christa Kozˇik verliert im Jahr 1991 ihre<br />

Anstellung bei der DEFA (Deutsche Film AG), sowohl ihr Gedichtband Tausendundzweite<br />

Nacht als auch ihre kinderliterarischen Texte Der Engel mit dem<br />

goldenen Schnurrbart (1983) und Kicki und der König (1990) zählen zu jenen Titeln,<br />

die aufgrund des geringen Gebrauchswerts auf Müllhalden entsorgt<br />

werden. 23 Im Jahr 2001 kritisiert Kozˇik: »In einer Wegwerfgesellschaft wird<br />

alles zur Wegwerfware. [...] Aus geachteten Schriftstellern wurden plötzlich<br />

›Müll-Literaten‹. Das war keine Qualitätsfrage, sondern einzig eine Marktund<br />

Machtfrage. [...] Unwerte Literatur – unwerte Literaten. [...] Was für eine<br />

absurde, brutale Art von Zensur!« 24<br />

Der Verlust der bis dahin bestehenden Anbindung an den Kinderbuchverlag<br />

Berlin und die Absenz neuer Kontakte führen bei vielen AutorInnen zu<br />

einer verstärkten Konzentration auf Lesereisen, die zum Beispiel Christa Kozˇik<br />

exemplarisch als »Möglichkeit des Überlebens« 25 , aber auch als Zeitverlust<br />

hinsichtlich des Schreibens neuer Texte sowie als klare physische und<br />

psychische Belastung beschreibt.<br />

Die wahrscheinlich markanteste Veränderung nach 1989/1990 liegt in der<br />

Notwendigkeit eines aktiven Verhaltens, das sich in der aktiven Initiierung<br />

von Verlagskontakten ausdrückt. Einige der AutorInnen wie Jutta Schlott<br />

und Wolf Spillner lehnen diese Vorgehensweise ab. Andere dagegen akzeptieren<br />

die neuen Arbeitsbedingungen, nehmen diese aber vor allem aufgrund<br />

der häufig geringen Resonanz primär negativ wahr. Die konsequente<br />

Anpassung an das neue Berufsprofil hängt stark mit der jeweiligen Toleranzgrenze<br />

im Kontext motivationaler Faktoren (zum Beispiel finanzieller Art)<br />

zusammen. Christa Kozˇik zeigt eine intensive Bemühung um die Veröffentlichung<br />

ihrer Manuskripte bzw. ein eigenaktives Herantreten an Verlage –<br />

eine Situation, die sie als »Kämpfen« 26 beschreibt. Kozˇik weigert sich, ihr<br />

literarisches Profil (zum Beispiel durch thematische Veränderungen) den<br />

heutigen Marktbedingungen anzupassen. In der stark zivilisationskritisch<br />

angelegten Fortsetzung ihrer phantastischen Erzählung Der Engel mit dem<br />

goldenen Schnurrbart (1983) versetzt sie die Figur des Engels in die aktuelle<br />

Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der BRD. Sehr bewusst fügt Kozˇik<br />

ihre Handlungsfiguren in ein schwieriges soziales Umfeld ein: Vater Karl<br />

wird durch die Wende arbeitslos, die Mutter ist täglich 16 Stunden als Kellnerin<br />

tätig. Um die Familie finanziell unterstützen zu können, nutzt Engel<br />

22 Ebd.<br />

23 Vgl. Siegfried Lokatis: Die Hauptverwaltung des Leselandes. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 11,<br />

2009, S. 23-31.<br />

24 Christa Kozˇik: Erinnerung an ein Bücherdorf. In: SchriftZüge. Brandenburgische Blätter für Kunst und Literatur,<br />

Nr. 1, 2001, S. 27-28, hier: S. 27.<br />

25 Kozˇik; Becker 2007 (s. Anm. 12).<br />

26 Ebd.<br />

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