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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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dieser Sichtweise von Moral erstens als etwas Positives beurteilt. Zweitens<br />

ist diese Affirmation der eigenen Beschränkung auch der instrumentellen<br />

Beurteilung entzogen. Zu sagen, dass etwas für das eigene Interesse nützlich<br />

oder unnütz ist, ist gerade die Negation des Gedankens, hier ginge es dem<br />

Betreffenden um Moral. Drittens ist die Rücksicht in der Moral ein höheres<br />

Prinzip, das daher für alle zu gelten habe, in seiner modernen Form ein für<br />

alle Individuen bindendes allgemeines Interesse.<br />

Vor dem Hintergrund der Passage aus den Grundrissen 29 lässt sich damit<br />

der Textabschnitt aus den Quellen der Deutschen Ideologie 30 verstehen: Die essentielle<br />

Notwendigkeit, im Kapitalismus das andere, entgegengesetzte Interesse<br />

prinzipiell anzuerkennen, wird damit vom Bewusstsein als grundlegend<br />

gutes, aber jenseits aller Interessen stehendes positives Prinzip beurteilt.<br />

Wegen der Relevanz für die weitere bürgerliche Existenz muss diese Rücksicht<br />

auf das gegensätzliche Interesse positiv bewertet werden. Spiegelbildlich<br />

wird damit das Beharren auf dem eigenen Interesse gegen ein gegensätzliches<br />

negativ beurteilt: Einfach bloß auf seinem Interesse gegen das<br />

feindliche zu beharren, ist nach Marx identisch mit der Aufkündigung des<br />

Tauschverhältnisses, damit aber auch gleichbedeutend mit der Vernichtung<br />

der bürgerlichen Existenz beider Kontrahenten, da sie als Warenhüter auf<br />

den Tausch angewiesen sind. Daher erhält diese Position, die auf dem eigenen<br />

Interesse gegen das andere beharrt, im bürgerlichen Bewusstsein eine<br />

negative Wertung. Diese positive und negative Wertung ist nicht auf ein spezielles<br />

Interesse bezogen – dann wäre es ja im Falle des eigenen gerade gut,<br />

auf dessen Durchsetzung zu beharren –, sondern wird an jedes besondere Interesse<br />

als höherer Maßstab angelegt. Das eigene Interesse zurückzustellen<br />

gilt damit als gut, das eigene Interesse durchzusetzen gilt als schlecht.<br />

Der ideologische Charakter der Moral<br />

Die Aufhebung des materiellen Gegensatzes in den moralischen Gegensatz<br />

zwischen Altruismus und Egoismus ist nach Marx allerdings rein ideell.<br />

Man müsse erkennen, gibt Marx Stirner gegenüber zu bedenken, dass letzterer<br />

»Gegensatz nur scheinbar, weil die eine Seite, das sogenannte ›Allgemeine‹,<br />

von der andern, dem Privatinteresse, fortwährend erzeugt wird und<br />

keineswegs ihm gegenüber eine selbständige Macht mit einer selbständigen<br />

Geschichte ist, daß also dieser Gegensatz fortwährend praktisch vernichtet<br />

und erzeugt wird. Es handelt sich also nicht um eine Hegelsche ›negative<br />

Einheit‹ von zwei Seiten eines Gegensatzes, sondern um die materiell be-<br />

29 Marx: Grundrisse (s. Anm. 22), S. 168.<br />

30 Marx; Engels: Deutsche Ideologie (s. Anm. 11), S. 229.<br />

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