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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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schauerraum blieb gähnend leer«, denn »der ›Tyrann‹ entpuppte sich als ein<br />

etwas grantiger, komischer, vom Autor allerdings todernst genommener Familienvater<br />

aus einer Vorkriegszeit, wie es sie nie gegeben hat« 31 .<br />

Um einen verbotenen Dichter geht es in der Reportage Besuch bei Heinrich<br />

Heine 32 . Maria Leitner berichtet über ihren Besuch im Heine-Zimmer in Düsseldorf,<br />

wo sie sich als Touristin ausgibt, »die [...] aus Amerika kommt und<br />

nichts davon ahnt, wie es in Deutschland zugeht« 33 . Das Heine-Zimmer sei<br />

nun dem Nationalhelden Albert Leo Schlageter 34 gewidmet, zu dessen Ruhm<br />

in Düsseldorf »ewige Feuer« 35 brennen. Maria Leitner macht darauf aufmerksam,<br />

dass »das Heine-Zimmer [...] nicht erst jetzt in den Hinterraum<br />

verbannt worden ist: es war auch in den Zeiten der Republik ein halbverborgenes<br />

Zimmer, dessen man sich ewig schämte« 36 . Bei Maria Leitner löst diese<br />

Verleumdung des deutsch-jüdischen Dichters, dessen Werk in 100 Sprachen<br />

übersetzt wurde, Empörung aus: »All diese Völker dachten, es sei ein deutscher<br />

Dichter, den sie in ihrer Sprache lasen, und den sie liebten ... Das Dritte<br />

Reich will sie eines anderen belehren.« 37 Das Zimmer ist abgeschlossen und<br />

wird von einem älteren Herrn für Maria Leitner geöffnet, der zum Schluss<br />

eingesteht: »Das alles hat keinen Sinn.« 38<br />

Heinrich Heine prophezeit schon 1821: »Das war ein Vorspiel nur, dort wo<br />

man Bücher / Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen« 39 , und<br />

nahm damit die Bücherverbrennungen sowie die weiteren Verbrechen des<br />

Nationalsozialismus vorweg. In seiner Rezension des 2004 erschienenen Buches<br />

Reisen ins Reich lobt Andreas Mertin die Reportage: »Maria Leitners Besuch<br />

bei Heinrich Heine [...] ist höchst aufschlussreich, was die Veränderung<br />

der Normalität angeht.« 40 Heinrich Heine erscheint in Maria Leitners Reportage<br />

als Symbolfigur: Für sie ist der revolutionäre Schriftsteller der Prophet<br />

der deutschen Verhältnisse, in denen das freie Wort unterdrückt wird.<br />

Außerdem ist Maria Leitners Situation und die ihrer Schriftstellerkolleg_innen<br />

mit dem Leben Heinrich Heines vergleichbar, denn auch er muss<br />

Vertreibung, Exil und Zensur in Deutschland erfahren.<br />

31 Ebd.<br />

32 Mary L. [Maria Leitner]: Besuch bei Heinrich Heine. In: Das Wort, Jg. 3, Heft 1, 1938, S. 145.<br />

33 Ebd.<br />

34 Albert Leo Schlageter (1894-1923) war ein deutscher Freikorpskämpfer. Er wird nach seinem Tod an der<br />

Golzheimer Heide in Düsseldorf zur Märtyrerfigur der Deutschnationalen in der Weimarer Republik und<br />

der Nationalsozialisten in der Zeit des Deutschen Reiches.<br />

35 Leitner 1938 (s. Anm. 32).<br />

36 Ebd.<br />

37 Ebd.<br />

38 Ebd.<br />

39 Heinrich Heine: Almansor. Eine Tragödie. Zuerst komplett erschienen in Tragödien, nebst einem lyrischen<br />

Intermezzo, Berlin 1823.<br />

40 Andreas Mertin: Lektüren XIX. Aus der Bücherwelt. In: Magazin für Theologie und Ästhetik, Heft 33, 2005.<br />

http://www.theomag.de/33/am144.htm (05.10.2010).<br />

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