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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Heinrich Müller schreibt in seinem Buch Göttliche Liebesflamme: »Du<br />

schwimmest in dem ungestümmen Welt-Meer, darumb must du dein Hertzens-Kästlein,<br />

wie Noah seine Arca, inwendig und außwendig wol verpichen,<br />

sonst möchte das Honig-süsse Welt-Wasser hinein dringen, und das Hertz<br />

Schiffbruch leiden.« 40 Hier verwendet Müller eine alttestamentarische Metapher,<br />

um zu veranschaulichen, wie man das Herz vor der Welt schützen soll.<br />

Mit dem Herz oder mit der Seele wird in der Erbauungsliteratur oft das<br />

»Ich« des Menschen identifiziert. Die Verfasser der Erbauungsbücher wenden<br />

sich in den Vorreden oft an die Seele oder an das Herz des Lesers bzw.<br />

der Leserin. Im 17. Jahrhundert, besonders an seinem Ende, bekommt »das<br />

Herz« die Wichtigkeit eines zentralen theologischen Konzepts. Das merkt<br />

man in Müllers Göttlicher Liebesflamme. Das Buch ist voller Herzmetaphern,<br />

wie »Tempel des Herzens«, »Türe des Herzens« oder »Musik des Herzens«,<br />

die zusätzlich in emblematischen Kupferstichen visualisiert werden. Mehrere<br />

Emblemata, die ein brennendes Herz darstellen, kommen in dem Buch<br />

vor. Sie zeugen davon, dass Müller an den Menschen vor allem als an ein<br />

emotionales Wesen appelliert. Genau im Herz beginnt, laut Müller, die Entstehung<br />

eines »wahren Christen«: »Wann der inwendige Mensch recht geordnet<br />

ist, so ordnet sich der außwendige Mensch fein von ihm selbst in<br />

Worten und Wercken. Wes das Hertze voll ist, des gehet der Mund über<br />

(Math. 12 v. 34). Aus einem geneigten Hertzen gehen holdselige freundliche<br />

Worte und Sitten« 41 . Zudem vergleicht Müller das Herz mit einem Buch, das<br />

dem Menschen ein moralisches Gesetz vorgibt: »Da trägstu ein lebendiges<br />

Buch in dem Grunde deines Hertzens, das würde dir alles reichlich gnug sagen,<br />

was du dem Nächsten thun solltest, und würdest keiner andern Bücher<br />

und Lehrer bedürffen« 42 . Hier lassen sich sogar die Anfänge der Emanzipation<br />

eines Individuums von äußerem Wissen beobachten, die erst in späteren<br />

Epochen deutlich wird.<br />

Fazit<br />

In den Erbauungsbüchern kann man einen dialektischen Prozess der Subjektivierung<br />

verfolgen. Sie versuchen, die Menschen dazu zu bringen, sich als<br />

Sünder_innen, als Kinder und als Patient_innen, aber auch als einzelne Persönlichkeiten<br />

mit einer tiefen inneren Welt zu konstituieren. Dieser dialektische<br />

Prozess, dessen Umrisse hier dargestellt wurden, war kennzeichnend<br />

für die Frühe Neuzeit insgesamt und hatte eine große Bedeutung für die<br />

Herausbildung der neuzeitlichen Identität.<br />

40 Müller 1676 (s. Anm. 32), S. 304.<br />

41 Ebd., S. 1203.<br />

42 Ebd., S. 1145.<br />

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