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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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nauso wie Umweltschützer_innen und andere Unterstützer_innen indigener<br />

Rechte, die zeigen wollen, wie gut diese Kultur mit den eigenen Vorstellungen<br />

und Zielen harmoniert. Die Kritik am hier jeweils verwendeten Kulturkonzept<br />

ist in der ethnologischen Theoriediskussion hinlänglich bekannt.<br />

Denn der Essentialismus geht an den globalisierten Realitäten indigener<br />

Gruppen vorbei und bietet überdies einen Nährboden für rassistische Stereotype,<br />

die bestimmten Gruppen angeblich kulturell determinierte Verhaltensweisen<br />

zuordnen. 24 Ein dynamisches, an der Praxis ausgerichtetes Verständnis<br />

von Kultur bietet eine Alternative. Die Untersuchung von Kultur als<br />

Praxis setzt nicht bei abstrakten kognitiven Mustern an, sondern bei der Art<br />

und Weise, wie kulturelle Prägungen im Alltag zur Anwendung kommen. 25<br />

Kultur wird dabei nicht als von gesellschaftlicher Realität entkoppelt, sondern<br />

als Element in politischen Prozessen verstanden. 26<br />

In postkolonialen Kulturtheorien wird der Begriff der Praxis in der Regel<br />

als doppelte Analysekategorie verwandt: einerseits, um zu ergründen, wie<br />

kolonialistische Denk- und Handlungsweisen in einer Gesellschaft verankert<br />

sind, und andererseits, um zu zeigen, dass soziale Praxis immer auch Spielräume<br />

für Subversivität gegenüber der herrschenden Ordnung beinhalten<br />

kann. 27 Bhabha als einer der führenden Vertreter postkolonialer Theorie zeigt<br />

konkrete Gelegenheiten für Widerstand der kolonisierten Subjekte auf, die<br />

sich aus Ambivalenzen in der diskursiven Konstruktion der Anderen ergeben. 28<br />

Mit Skepsis begegnet Bhabha außerdem einer unkritischen Zelebrierung plurikultureller<br />

Identitäten und Realitäten. Der sogenannte Multikulturalismus<br />

tendiere dazu, Machtverhältnisse zu verschleiern, »indem er Kulturen in der<br />

Essenz als gleichwertig konstruiere, während der kulturelle Relativismus<br />

Differenzen immer in Relation zum normativen Zentrum setze und damit<br />

die Autorität der hegemonialen Kultur verstärke« 29 . Demzufolge ist das neue<br />

Staatsverständnis des multikulturellen Miteinanders in lateinamerikanischen<br />

Staaten, darunter Venezuela, kritisch zu hinterfragen. Als Alternative<br />

zum Begriff der Interkulturalität, der die Prämissen des essentialistischen<br />

Kulturbegriffs unverändert weiterführt, bietet sich der von Welsch geprägte<br />

Begriff der Transkulturalität an. Denn Kultur als Praxis manifestiert sich in<br />

vielfältigen Verflechtungen und Überschneidungen von Lebensformen, wie<br />

Welsch selbst auf den Punkt bringt: »To sum this up: Cultural determinants<br />

24 Vgl. Ortner 2006 (s. Anm. 22), S. 12.<br />

25 Vgl. Hörning; Reuter 2004 (s. Anm. 23), S. 9 f.<br />

26 Vgl. Ortner 2006 (s. Anm. 22), S. 13.<br />

27 Vgl. Julia Reuter: Postkoloniales Doing Culture. Oder: Kultur als translokale Praxis. In: Hörning; Reuter<br />

2004 (s. Anm. 23), S. 240.<br />

28 Vgl. Bhabha 1994 (s. Anm. 23), S. 117; vgl. auch Bart Moore-Gilbert: Postcolonial theory. Contexts, practices,<br />

politics, London 1997.<br />

29 Maria do Mar Castro Varela; Nikita Dhawan: Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, Bielefeld<br />

2005.<br />

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