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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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ist ein erheblich einschneidenderer Entschluß, als im Rollenspiel der ›Weltgeschichte‹<br />

die Rollen auszutauschen.« 8<br />

Arendt bringt damit aber auch zum Ausdruck, dass die gemachte Erfahrung<br />

von ehemaligen Kommunist_innen in und mit der Bewegung zwar von<br />

persönlicher Relevanz sein mag, ein öffentliches Interesse ihr aber abzusprechen<br />

ist. Die spezifische Erfahrung, Teil einer revolutionären Bewegung gewesen<br />

zu sein und ohnmächtig miterleben zu müssen, wie sich das eigene,<br />

in institutionelle Zusammenhänge eingebundene Handeln verselbständigt<br />

und eine unintendierte Richtung einnimmt, scheint aus ihrer Perspektive belanglos<br />

zu sein. Vermutlich unbeabsichtigt bestätigt Arendt dadurch die<br />

wirkmächtige und verhängnisvolle Setzung, die sie an anderer Stelle explizit<br />

kritisiert. Denn was aus ihrer Perspektive Kommunist_innen und Ex-Kommunist_innen<br />

gemein haben, ist die verurteilungswürdige Weltsicht, die<br />

»die ganze Struktur unserer Zeit in einer extremen Zweiteilung« 9 sieht. Was<br />

Kommunist_innen und Ex-Kommunist_innen ein extrem polares Weltbild<br />

ist, das kennt unter gegensätzlichen Vorzeichen nur gut und böse, richtig<br />

und falsch, ohne dazwischen liegende Schattierungen. Indem Arendt selbst<br />

aber ehemaligen Kommunist_innen nur die Möglichkeit lässt, sich ins Privatleben<br />

zurückzuziehen, ist auch aus ihrer Perspektive eine dritte Sprecher_innenposition<br />

zwischen Kommunist_innen und Ex-Kommunist_innen<br />

nicht vorgesehen, die die dichotome Struktur der Sprechsituation aufbrechen<br />

könnte. Es stellt sich aber die Frage, ob es nicht möglich oder sogar<br />

dringend angebracht ist, diese dritte Position begrifflich zu berücksichtigen<br />

und ihr dadurch Raum zur Artikulation zu bieten. Dadurch kann aufgezeigt<br />

werden, dass sich in diesem vergangenen Flüstern einerseits der traumatische<br />

Umschlag von revolutionärer Bewegung zu totalitärer Herrschaft reflektiert,<br />

andererseits die Enttäuschungserfahrung nicht zum Anlass genommen<br />

werden muss, dem kommunistischen Begehren abzuschwören. Walter<br />

Benjamins Diktum folgend, dass die feinen und spirituellen Dinge in den sozialen<br />

Kämpfen der Geschichte sich der Vereinnahmung als Beute der Sieger<br />

entheben und »als Zuversicht, als Mut, als Humor, als List, als Unentwegtheit<br />

in diesem Kampf lebendig [sind] und in die Ferne der Zeit<br />

zurück[wirken]« 10 , will ich in meiner Dissertation mein Gehör diesem leisen<br />

Flüstern ehemaliger Kommunist_innen zuwenden, die Zeugnis über ihre<br />

persönlichen Erfahrungen mit der kommunistischen Bewegung ihrer Gegenwart<br />

ablegen. 11<br />

8 Arendt 2000 (s. Anm. 7), S. 230.<br />

9 Ebd.<br />

10 Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte [1940]. In: Ders.: Erzählen, Frankfurt am Main 2007, S.<br />

129-142, hier: S. 130.<br />

11 Um weiter in Benjamins Aphorismus zu bleiben, besteht meine Hoffnung darin, dass die darin enthaltenen<br />

Erfahrungen zu den Momentaufnahmen gehören, die »immer von neuem jeden Sieg, der den Herrschenden<br />

jemals zugefallen ist, in Frage stellen«. – Benjamin 2007 (s. Anm. 10), S. 130.<br />

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