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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Klappe, die Erste: Sergej Eisensteins Streik<br />

Der russische Regisseur und Filmtheoretiker Sergej Eisenstein ist bekannt<br />

geworden durch den 1925 anlässlich des Jubiläums der Revolution von 1905<br />

gedrehten Film Panzerkreuzer Potemkin. Ein Jahr zuvor entstand Streik, Eisensteins<br />

erster Langfilm, der einen Arbeitskampf im vorrevolutionären<br />

Russland zum Thema hat. Hier markiert der Regisseur das Bedürfnis, die<br />

Grenzen des Theaters (vor allem die Statik des Raums) zu überwinden bzw.<br />

überhaupt eine neue Form des Kunstschaffens im Medium des Films zu erproben.<br />

Dabei standen nicht länger dem Kunstwerk äußerliche Kriterien,<br />

wie die Biographie oder Psychologie des Autors, im Zentrum. Stattdessen<br />

ging es um die Kunsthaftigkeit des Kunstwerks und um den strukturellen<br />

Verweisungszusammenhang seiner Elemente (Bilder, Szenen). Eisensteins<br />

Weg zu Theater und Film führte über das Ingenieurstudium, die Beschäftigung<br />

mit analytischer Geometrie und die Arbeit als Bühnenbildner für eine<br />

Theatergruppe der Roten Armee. Der Formalismus im dramaturgischen und<br />

filmischen Schaffen mag ihm also schon deshalb nahegelegen haben. Was<br />

ihn jedoch vor allem motivierte, war »eine mediale Eigenschaft des Films –<br />

totale Erfassung der äußeren Welt – mit einem neuen Gesellschaftsgefühl zusammenlaufen<br />

[zu lassen]« 6 . Die Montage der Filmbilder ist für Eisenstein<br />

Ausdruck und Vermittlung tayloristisch organisierter Produktionsweisen,<br />

derer sich auch der Sowjetstaat bediente. So schreibt er dem Film die Aufgabe<br />

der »Qualifizierung und Ausstattung der Massen für ihr Alltagsleben« 7<br />

zu. Zugleich sind seine frühen Filme eine Veranschaulichung marxistischer<br />

Geschichtsphilosophie, die die Revolution von 1917 als Keim veränderter gesellschaftlicher<br />

Verhältnisse weltweit begreift. Die Kunst der sozialistischen<br />

Gesellschaft müsse mit der Illusion einer kohärenten Erzählung brechen und<br />

stattdessen Widersprüche, Gemachtheit und Veränderbarkeit der Wirklichkeit<br />

zu Bewusstsein bringen. Die Wirkung der Szenen dürfe durch keine Handlung<br />

oder Figurenpsychologie getrübt werden. Die Montage als solche entfalte<br />

eine »emotions- und bewusstseinsproduzierende Kraft, die der ›überraschenden‹<br />

und konfrontierenden Zusammenstellung innewohnt« 8 . Darüber<br />

hinaus ist Eisensteins filmischer Ansatz politisch fundiert: es geht nicht nur<br />

um die Potenzierung der Wahrnehmungsmöglichkeiten, sondern um die<br />

»Abkehr von bürgerlichen Darstellungsweisen, die sich auf subjektive Erfahrungen<br />

weniger Figuren stützen, die eine ihren Charakter enthüllende Fabel<br />

durchleben« 9 . Und schärfer noch: um die »Formung des Zuschauers in einer<br />

6 Felix Lenz: Sergej Eisenstein. Montagezeit. Rhythmus, Formdramaturgie, Pathos, Paderborn 2008, S. 47.<br />

7 Sergej M. Eisenstein: Schriften Bd. 1, München 1974, S. 216.<br />

8 Hans-Joachim Schlegel: Eisensteins Weg von der »Revolutionierung des Theaters« zum Revolutionsfilm.<br />

Eine Einführung in »Streik«. In: Eisenstein 1974 (s. Anm. 7), S. 7-30, hier: S. 23.<br />

9 Lenz 2008 (s. Anm. 6), S. 52.<br />

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