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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Tanja Kinzel<br />

Was sagt ein Bild?<br />

Drei Porträtaufnahmen aus dem Ghetto Litzmannstadt<br />

Auf einem Foto aus dem Ghetto Litzmannstadt 1 ist ein Soldat zu sehen, der<br />

einen Juden mit Mütze, Bart und Kaftan fotografiert. Der Fotografierte steht<br />

allein auf einem großen Platz, im Hintergrund sieht man ein Auto und ein<br />

niedriges Holzhaus, es handelt sich um den Baluter Ring, den zentralen Umschlagplatz<br />

des Ghettos. Während der fotografierende Soldat angeschnitten,<br />

seitlich von hinten am linken Bildrand zu sehen ist, befindet sich der<br />

fotografierte Mann in der Mitte des Bildes. Er steht aufrecht, die Arme am<br />

Körper und blickt Richtung Kamera. Die Gewalt der Aufnahmesituation ist<br />

dem Bild immanent: Der Fotografierte ist der Kamera und dem Blick des Soldaten<br />

sowie dessen Willkür gleichermaßen ausgeliefert. Dieses Bild gehört<br />

zu einer Serie von Fotografien, die die Entstehungssituation von Aufnahmen<br />

der Propagandakompanie (PK) der Waffen-SS 1940 im Ghetto Litzmannstadt<br />

dokumentieren. 2 Die PKler haben dort bei einer gemeinsamen Tour fotografiert<br />

und sind sich dabei immer wieder (versehentlich) ins Bild gekommen<br />

oder haben sich beim Fotografieren gegenseitig aufgenommen.<br />

Für Porträtfotos wurden meist osteuropäische, orthodoxe Juden ausgewählt,<br />

die den stereotypen Vorstellungen der Nationalsozialisten entsprachen.<br />

Aber die Betroffenen wussten, wie ein Bericht von Ida Gliksztajn Rapaport<br />

Jarkoni aus Lublin zeigt, sehr wohl, warum wer fotografiert wurde und<br />

wofür diese Fotos gedacht waren: »Wenige Tage nach der deutschen Besetzung<br />

tauchten überall in den Straßen deutsche Soldaten mit Fotoapparaten<br />

auf und zogen durch die Straßen. Sie suchten nach charakteristischen ›jüdischen<br />

Typen‹ im alten Ghetto und in den kleinen jüdischen Straßen. Sie wollten<br />

nur die Armen, Alten und Verrückten fotografieren, die Menschen in<br />

›besonders schönen‹ – heißt in zerrissenen, zerlumpten – Kleidern.« 3<br />

Neben der selektiven Auswahl war es eine Umkehrung des Abbildungsprinzips<br />

durch die nationalsozialistische Propaganda, auf der die Fotos aus<br />

1 Zur Bezeichnung der Stadt verwende ich die jeweilige historisch korrekte Bezeichnung: Vor dem Krieg hieß<br />

die Stadt ´ Lód´z, nach dem Einmarsch der Deutschen wurde sie kurzzeitig Lodsch genannt. Am 11. April 1940<br />

folgte die Umbenennung der Stadt in Litzmannstadt, benannt nach dem deutschen General und bekennenden<br />

Nazi Karl Litzmann (1850-1936).<br />

2 Bundesarchiv (BA) Bild 101III-Schilf-003-24.<br />

3 Zitiert nach: Archiv der Gedenkstätte Majdanek, Israelischer Bericht, S. 10, Übersetzung ins Englische<br />

Robert Kuwalek, Weiterübersetzung ins Deutsche T. K. Den Hinweis verdanke ich dem Historiker Robert<br />

Kuwalek.<br />

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