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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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der Führung seiner selbst (Schwerpunkt in den frühen achtziger Jahren). Beides<br />

ist miteinander verbunden. Denn bereits die Ausführung setzt eine<br />

gewisse Fähigkeit zur Selbstführung voraus. Hier liegt das Scharnier verborgen,<br />

mit dessen Hilfe Foucault sich in den achtziger Jahren einem autopoietischen<br />

Subjekt zuwenden kann. 6 Bourdieu bricht seinerseits mit der Konzeption<br />

des Habitus als generativer Struktur mit der streng strukturalistischen<br />

Idee eines hermetischen Kausalzusammenhangs von Struktur und Handlung.<br />

Anders als in Parsons’ Rollentheorie wird Gesellschaft von Bourdieu nicht<br />

als dem Individuum entgegengesetzte Größe gedacht. Stattdessen ist der<br />

Einzelne von Beginn an in den praktischen Gesellschaftszusammenhang eingebunden.<br />

Dem menschlichen Handeln wird eine spezifisch körperliche<br />

Qualität zuerkannt, und gesellschaftliche Ordnung entsteht auf dieser Basis<br />

nicht vornehmlich durch kognitive Entwürfe, sondern performativ, das heißt<br />

in der sozialen Praxis selbst, in die der Körper unmittelbar eingebunden ist. 7<br />

Auf diesem Weg wird er zum Speicher gesellschaftlicher Gepflogenheiten. 8<br />

So erscheint folgende These plausibel: Die Vorstellung, dass Subjektivierungsprozesse<br />

wesentlich praktisch ablaufen, bezieht die Gesellschaft mit<br />

ein und besitzt somit politische Implikationen und Konsequenzen. Verlegen<br />

Konzeptionen, die ihr Primat beim freien Willen ansiedeln, die Herausbildung<br />

von Subjektivität auf die Ebene eines von äußeren Bedingungen<br />

weitgehend unabhängigen mentalen Prozesses 9 , so begreifen Foucault und<br />

Bourdieu die subjektbildende Praxis als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.<br />

Dies zeigt sich ganz offensichtlich am Beispiel des habituell situierten<br />

Akteurs bei Bourdieu. Dies gilt ebenso offensichtlich für das durch<br />

disziplinierende Praktiken generierte Subjekt bei Foucault. 10 Doch gleichermaßen<br />

– und hier wird die Ebene des Evidenten verlassen – beansprucht das<br />

ethische Subjekt der Selbstpraxis, wie es Foucault in den achtziger Jahren<br />

anhand seiner Untersuchungen der klassischen und der römisch-hellenistischen<br />

Antike zutage fördert, 11 einen politischen Status: Die Idee einer Ästhetik<br />

der Existenz, ins Werk gesetzt durch Praktiken und Übungen der Selbstformierung,<br />

darf nicht als Rückzug aus der Gesellschaft verstanden werden, 12<br />

6 Vgl. ebd., S. 286.<br />

7 Zum Beispiel Begrüßungspraktiken, Tischsitten, das Einnehmen von Körperhaltungen usw.<br />

8 Vgl. Beate Krais; Gunter Gebauer: Habitus, Bielefeld 2002, S. 75.<br />

9 Sartre hingegen blendet die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Konstitution von Subjektivität vollkommen<br />

aus: »Der Mensch ist nichts anderes als sein Entwurf, existiert nur in dem Maße, in welchem er sich<br />

verwirklicht, er ist also nichts anderes als die Gesamtheit seiner Handlungen.« Jean-Paul Sartre: Ist der Existentialismus<br />

ein Humanismus? In: Jean-Paul Sartre: Drei Essays, Frankfurt am Main 1989, S. 7-51, hier:<br />

S. 22.<br />

10 Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen, Frankfurt am Main 1976.<br />

11 Vgl. ders.: Hermeneutik des Subjekts, Frankfurt am Main 2004.<br />

12 Vgl. ders.: Regierung seiner selbst und der anderen (ein unveröffentlichtes Dossier). Auszüge. In: Foucault<br />

2004 (s. Anm. 11), S. 655-657.<br />

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