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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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grundlegend hinterfragt 34 . Dabei kamen neue Formen der Feldforschung<br />

und des ethnologischen Schreibens auf, verbunden mit der Forderung reziprok<br />

und partizipativ zu arbeiten, bis hin zur Idealvorstellung, mit der ethnologischen<br />

Forschung nicht nur zur wissenschaftlichen Erkenntnis, sondern<br />

auch zum Wohl der beforschten Personen beizutragen. 35<br />

An den strukturellen Rahmenbedingungen, unter denen ethnologische<br />

Wissensproduktion zustande kommt, konnten die Reflexionen wenig ändern.<br />

Auch die gut gemeinte Absicht, partizipativ und reziprok zu forschen,<br />

ändert realistisch gesehen nichts an bestehenden Machtverhältnissen und<br />

(nicht vorhandenen) Wahlfreiheiten. Radikal kritisch gesehen ist ethnologische<br />

Forschung also eine Form des Neokolonialismus und Imperialismus<br />

und dürfte in dieser Form nicht mehr stattfinden.<br />

Statt der Tendenz zur Selbstauflösung sehen Sluka und Robben allerdings<br />

einen Trend zur Versöhnung der postmodernen Diskussion mit der klassischen<br />

Ethnologie in Form eines »compassionate trend« 36 . Scheper-Hughes<br />

postuliert eine »good-enough-ethnography«, die sich, statt sich einer ewig<br />

kritischen Nabelschau zu widmen, wieder um die Probleme der Anderen<br />

kümmert, diesmal jedoch im vollen Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeiten.<br />

Zuhören und Hinsehen könne, begleitet von der nötigen Sensibilität,<br />

einen solidarischen Akt ausmachen. Sich zu verschließen bedeute hingegen<br />

Indifferenz gegenüber wichtigen Themen wie Gewalt, Genozid, Trauma und<br />

Anerkennungskämpfen. 37 Empathie als Basis für einen Dialog zwischen Forscher_in<br />

und Beforschten, aber auch als Erkenntnisgrundlage, spielt eine<br />

zentrale Rolle im neuen ethnologischen Selbstverständnis.<br />

Feldforschung<br />

Zu Beginn meiner Feldforschung in Venezuela stellte sich heraus, dass der<br />

Prozess der Demarkierung und Anerkennung indigener Territorien bei Weitem<br />

nicht so gut vorangekommen war, wie es die Lektüre der Gesetzestexte<br />

und Stellungnahmen der Regierung vermuten ließen. In der Region Imataca<br />

waren, abgesehen von einem kurzen Sondierungsbesuch der regionalen<br />

Demarkierungskommission, noch keine konkreten Schritte unternommen<br />

worden.<br />

34 Vgl. Berg; Fuchs 1993 (s. Anm. 31), S. 19.<br />

35 Vgl. Sluka; Robben 2007 (s. Anm. 5); vgl. auch Bourdieus Kritik am Narzissmus der ethnologischen Selbstreflexion<br />

und der Rolle der kritischen Intellektuellen. Pierre Bourdieu: Narzißtische Reflexivität und Wissenschaftliche<br />

Reflexivität. In: Berg; Fuchs 1993 (s. Anm. 31), S. 365-374.<br />

36 Sluka; Robben 2007 (s. Anm. 5), S. 22 f.<br />

37 Vgl. Nancy Scheper-Hughes: The primacy of the ethical. Propositions for a militant anthropology. In: Current<br />

Anthropology 1995, Bd. 36 (3), S. 409-420.<br />

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