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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Kommunisten predigen überhaupt keine Moral, […] wollen also keineswegs<br />

[…] den ›Privatmenschen‹ dem ›allgemeinen‹, dem aufopfernden Menschen<br />

zuliebe aufheben – eine Einbildung, worüber sie sich Beide bereits in den<br />

›Deutsch-Französischen Jahrbüchern‹ die nötige Aufklärung hätten holen<br />

können. Die theoretischen Kommunisten, die einzigen, welche Zeit haben,<br />

sich mit der Geschichte zu beschäftigen, unterscheiden sich gerade dadurch,<br />

daß sie allein die Schöpfung des ›allgemeinen Interesses‹ durch die als ›Privatmenschen‹<br />

bestimmten Individuen in der Geschichte entdeckt haben.« 11<br />

Auch in der Deutschen Ideologie kritisiert Marx die Ansicht, Moral sei eine<br />

überhistorische Konstante, und kennzeichnet sie als unselbständige Bewusstseinsform.<br />

Zudem sei es für die Moral wesentlich, dass in ihr die Negation<br />

des eigenen Interesses als gut und dessen Durchsetzung auf Kosten eines<br />

fremden als schlecht beurteilt werde. Auf der Ebene des Interesses stünden<br />

sich allgemeines und Privatinteresse gegensätzlich gegenüber. Das allgemeine<br />

Interesse werde vom moralischen Bewusstsein als Maßstab gesetzt,<br />

das reine Privatinteresse hingegen werde als Eigennütziges verworfen.<br />

Moral ist demnach für Marx eine Bewusstseinsform, die drei Bestimmungen<br />

aufweist: Erstens wird das Aufgeben des eigenen Interesses positiv beurteilt.<br />

Zweitens hat diese Beurteilung keinen instrumentellen Charakter, sie<br />

ist nicht unmittelbar auf den eigenen Nutzen bezogen. Und drittens ist der<br />

Maßstab für diese Beurteilung ein höheres Prinzip, das für alle Gültigkeit besitzt<br />

und als allgemeines Interesse auftritt.<br />

Diese Bestimmung von Moral als ein Zurückstellen des eigenen Interesses<br />

zugunsten eines höheren, das seine Dignität in seiner Allgemeinheit besitzt,<br />

ist nicht originell. 12 Die interessante Behauptung ist Marx’ These, dass die Bewusstseinsform,<br />

die dem privaten Interesse ein allgemeines zur Beurteilung<br />

gegenüberstellt, durch das Privatinteresse selbst erzeugt werde, dass also<br />

das Eigeninteresse die Grundlage der Moral darstelle. Um zu zeigen, wie<br />

Marx die Genese eines allgemeinen Interesses aus dem Privatinteresse ableitet,<br />

muss noch geklärt werden, wie diese These genau zu verstehen ist.<br />

Zunächst ließe sich dieser Satz nämlich so interpretieren, dass das Allgemeine<br />

die Täuschung eines bestimmten Privatinteresses sei, nämlich das der<br />

Kapitalisten, die ein allgemeines Interesse vorgaukelten, um den Klassengegensatz<br />

hinter einer vordergründigen Gemeinsamkeit zu verschleiern.<br />

Aber das wäre weder philologisch noch inhaltlich stichhaltig. Denn erstens<br />

11 Karl Marx; Friedrich Engels: Die Deutsche Ideologie. In: MEW, Bd. 3, Berlin (Ost) 1969, S. 229. – An dieser<br />

Stelle interessieren allein die positiven Bestimmungen, die sich aus dieser Schrift zum Marx’schen Moralbegriff<br />

herausfinden lassen. Von der Kritik an Stirner selbst kann an dieser Stelle ohne theoretische Probleme<br />

abstrahiert werden.<br />

12 Marx’ Lehrer Hegel hatte diese drei Bestimmungen von Moral in seinem Begriff von Moralität in seiner<br />

Rechtsphilosophie auch bereits festgehalten: Moral bestehe in Pflichten gegen das Subjekt, befinde sich also<br />

im Gegensatz zu seinen unmittelbaren Interessen, nehme seinen Maßstab nicht aus den unvermittelten Nutzenerwägungen<br />

und habe als Wohl aller bindenden Charakter für den Einzelnen. – Siehe G. W. F. Hegel:<br />

Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt am Main 1986, § 125, S. 236 und §133-134, S. 250 ff.<br />

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