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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Stefan Paulus<br />

Work-Life-Balance als neuer Herrschaftsdiskurs.<br />

Eine kritische Diskursanalyse eines Regierungsprogramms<br />

Einleitung<br />

Ultraflexible Arbeitsformen, dezentralisierte Arbeitsplätze, Privatisierung<br />

und Rationalisierung, das Auslagern von Funktionen und Dienstleistungen<br />

an Subunternehmen, MitarbeiterInnen, die sich selbst für den Erfolg des Unternehmens<br />

verantwortlich fühlen sollen, die neoliberale Losung »Arbeit,<br />

Arbeit, Arbeit«, das Bedürfnis, für stetigen Wachstum über die ganze Erdkugel<br />

zu jagen und die billigsten Standorte und Arbeitskräfte zu finden. All das<br />

sind Formen einer kapitalistischen Verwertungsstrategie, die darauf abzielt,<br />

Ausbeutungsbedingungen zu verschärfen und sozialstaatliche Sicherungen<br />

aufzulösen. Die Vereinbarkeit von Leben und Arbeit scheint außer Kontrolle<br />

geraten zu sein.<br />

In dieser neuen Periode geht es weniger darum, über gewerkschaftliche<br />

Vereinbarungen den kapitalistischen Widerspruch zwischen Arbeit und Leben<br />

zu minimieren, sondern darum, das materielle Überleben durch die Gegenleistung<br />

einer möglichst umfassenden egoistischen Flexibilität in Bezug<br />

auf die berufliche Qualifikation, den Arbeitsplatz, die Arbeitszeit und den<br />

Arbeitslohn zu sichern. Die Lohnabhängigen sind mit einem komplexeren<br />

und aufwändiger zu organisierenden Alltag konfrontiert. In der postfordistischen<br />

Phase des 21. Jahrhunderts ist die neue ökonomische Rolle der Einzelnen<br />

in der Gesellschaft nicht mehr ausschließlich auf das Funktionieren in<br />

der Produktionssphäre beschränkt, sondern die ArbeitnehmerInnen sollen<br />

sich als gesamte Person mit den kapitalistischen Verhältnissen identifizieren.<br />

Flexiblere und mobilere Arbeitsbedingungen sowie die Extensivierung und<br />

Intensivierung der Erwerbsarbeit erhöhen den Druck und die Anforderungen<br />

an soziale Beziehungen sowie an die Selbstorganisation der ArbeitnehmerInnen.<br />

Infolgedessen treten in den Industrieländern bisher weitgehend<br />

unbeachtete Folgeerscheinungen auf, wie Individualisierung, zunehmende<br />

Scheidungsraten, ein für Industrienationen scheinbar bedrohender Rückgang<br />

der Geburtenrate, eine zunehmende Anzahl Alleinerziehender und<br />

Patch-Work-Familien, psychische Probleme wie Stress- und Burn-Out-Syndrome<br />

bis hin zu Karoshi, dem Tod durch Überarbeitung. 1<br />

1 Vgl. Stefan Paulus: Mutti kocht, Vati schafft! Geschlechterverhältnisse im Spiegel der Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik.<br />

In: Direkte Aktion, Nr. 182, 2007, S. 12 f.<br />

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