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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Die Wendung im sozialpsychologischen Ansatz:<br />

Scheinbare Kontinuität und Verschiebung der Begriffe<br />

In Bezug auf die Analyse der Autorität kann man oberflächliche Konvergenzen<br />

feststellen, die aber leichte Divergenzen bzw. Spannungen überdecken.<br />

Gemäß der psychologischen Diagnose Fromms ist das Verhältnis zu einer irrationalen<br />

Autorität eine Pathologie der patriarchalischen Gesellschaft. In<br />

der historischen Diagnose Horkheimers ist dagegen die Feststellung einer<br />

zunehmenden Autorität der »Tatsachen«, das heißt einer neuen Form von<br />

Autorität, nur unter Rückgriff auf die Spannungen zwischen den gesellschaftlichen<br />

Klassen, die sich in den sozialen Charakteren widerspiegeln, erklärbar<br />

und gilt somit als durch die Zersetzung der Autorität in der Familie<br />

erzeugt. Fromm nahm teilweise eine vergleichbare Analyse vor – zum Beispiel<br />

in Bezug auf den »masochistischen Charakter«, den er bei Personen<br />

diagnostiziert, die sich durch Rationalisierungen der Ordnung der Tatsachen<br />

unterwerfen; zum Beispiel Gottes Willen oder ökonomischen Tatsachen. 31<br />

Fromm ist dieser eingeschlagenen Richtung der Analyse der Verdinglichung<br />

nicht gefolgt.<br />

Der wesentliche Unterschied liegt in der Auffassung von Subjektivität.<br />

Die Normativität des Subjekts, welches von Fromm in den Analysen der Autorität<br />

aus dem Jahr 1936 verteidigt wurde, löst das Problem der Autorität<br />

durch ein starkes rationales Ego, das bei Fromm später als angepasst und integriert<br />

beschrieben wird und fähig sein soll, die irrationale Autorität des<br />

Über-Ichs zu vermindern oder auszugleichen. Die Kritik Fromms an Freud,<br />

gleichsam dass dieser die produktiven Kräfte des Ichs nicht gesehen und die<br />

Anpassung des Ichs privilegiert habe, ist der Kern des Streits um die Rolle<br />

der Sozialpsychologie und vor allem um die richtige Subjekttheorie: Die Dialektik<br />

der Aufklärung enthält eine Art dialektische Genealogie einer solchen<br />

rationalen, naturbeherrschenden Subjektivität und versucht die Möglichkeit<br />

eines qualitativ verschiedenen Verhältnisses zur Natur aufscheinen zu lassen.<br />

Bezüglich der Natur des Subjekts lässt sich also eine signifikante Opposition<br />

feststellen. Zusätzlich kann man diese Frontstellung an der Verwendung<br />

des Charakterbegriffs nachvollziehen: Auch wenn Adorno diesen<br />

Begriff später noch verwendet, 32 präzisiert er, dass der Charakter mehr ein<br />

»Narbensystem« als eine integrierte Totalität ausmacht. 33<br />

Neben dem Begriff des Charakters findet sich auch eine Wandlung in der<br />

Bedeutung des Adjektivs »autoritär«: In den 1940er Jahren bedeutete es nicht<br />

mehr »patriarchalisch«, sondern nunmehr das Ende der Autorität, das durch<br />

den Verdinglichungsprozess hervorgerufen wird. Deutlich zeigt sich dies in<br />

31 Vgl. Erich Fromm: Zum Gefühl der Ohnmacht. In: ZfS 6, 1937, S. 95-118.<br />

32 Vgl. Adorno 1949 (s. Anm. 3). Der deutsche Titel heißt: »Autoritärer Charakter«.<br />

33 Vgl. Adorno 1951 (s. Anm. 5).<br />

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