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Jahrgang 1 / 2011 - Rosa-Luxemburg-Stiftung

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Für Wiebke Kolbe stellt sich der Strand als »liminoide[r] (Erfahrungs-)<br />

Raum« 17 für ein spezifisch modernes Körper- und Subjektbewusstsein dar.<br />

Ausgezeichnet »durch grundsätzliche Andersartigkeit« ermöglicht er »alltagsüberschreitende<br />

Erfahrungen« 18 . Die liminoide Beschaffenheit des Stranderlebens<br />

nährt die Physiognomie des Ortes mit seinem Übergangscharakter<br />

zwischen allen vier Elementen, an welchem sich diese berühren und durchdringen,<br />

wo Meer und Land, ohne dass der Übergang starr und unverbrüchlich<br />

definiert wäre, aneinanderstoßen. Der Strand schafft einen »Ort der<br />

Unbestimmtheit« 19 , des »erträumten Anderen« 20 , der dank seines liminalen<br />

Charakters zu »nichtalltäglichen sozialen Praktiken und Erfahrungen geradezu<br />

einzuladen scheint« 21 . Dazu zählen Verhaltensformen der Muße, des<br />

Spiels, subjektive Sinnes- und Körperempfindungen der psychischen und<br />

physischen Entgrenzung, die regressive Empfindungs- und Verhaltensmuster<br />

auslösen. Kolbe überträgt den Liminoiditätsbegriff des Kulturanthropologen<br />

Victor Turner, welcher grundsätzlich touristisches Reisen als kulturelle<br />

Praxis moderner industrieller Gesellschaften umfasst, auf den Strandurlaub,<br />

dem sie »besonders deutliche Merkmale liminoider Erfahrungsräume« 22 unterstellt.<br />

Touristisches Reisen bei Turner ist geeignet, »konstruktive Gegenerfahrungen<br />

zum Alltag [zu ermöglichen], die als grösserer Freiraum erlebt<br />

würden und mit grösserer zwischenmenschlicher und körperlicher Nähe sowie<br />

der Auflösung fester Rollen und Identitäten einhergingen« 23 . Der Strand<br />

scheint prädestiniert, dem Alltag zugeordnete Praktiken und Selbstsichten<br />

temporär aufzugeben, da er sowohl der touristischen Sphäre zuzuordnen ist<br />

als auch ob der topographischen Qualitäten des Ereignisraumes. Die Qualität<br />

des Grenzganges ist eine mehrfache: Der von Corbin wiederholt als<br />

limes 24 bezeichnete Ort wird strukturiert durch die transitorische Verfasstheit<br />

des Ortsraumes wie des Erlebnisraumes Freizeit bzw. Urlaub innerhalb einer<br />

»dual gedachten Ordnung von Arbeit und Freizeit« 25 , wie sie sich als Denkmodell<br />

im Laufe des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts etabliert hat. In<br />

dieser gilt der Strand »unhinterfragt als Ort des Letzteren« und gewinnt die<br />

Qualität des Synonyms für Ferien und ein freies Leben. 26<br />

17 Vgl. hier wie im Folgenden Wiebke Kolbe: Strandurlaub als liminoider (Erfahrungs-) Raum der Moderne?<br />

Deutsche Seebäder im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Hans-Jörg Gilomen; Beatrice Schumacher;<br />

Laurent Tissot (Hrsg.): Freizeit und Vergnügen vom 14. bis zum 20. Jahrhundert, Zürich 2005, S. 187-199,<br />

hier: S. 188.<br />

18 Vgl. ebd., S. 189.<br />

19 Ebd.<br />

20 Geisthövel 2005 (s. Anm. 5), S. 125.<br />

21 Kolbe 2005 (s. Anm. 17), S. 189.<br />

22 Ebd., S. 188.<br />

23 Ebd.; zum Liminoiditätskonzept Turners vgl. Victor Turner: Variations on a theme of liminality. In: Sally F.<br />

Moore; Barbara G. Myerhoff (Hrsg.): Secular Ritual, Amsterdam 1977, S. 36-52.<br />

24 Vgl. Corbin 1994 (s. Anm. 2), u. a. S. 23, S. 30, S. 196.<br />

25 Beatrice Schumacher: Freizeit, Vergnügen und Räume. Einleitung. In: Gilomen; Schumacher; Tissot 2005<br />

(s. Anm. 17), S. 133-141, hier: S. 135.<br />

26 Ebd.<br />

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